Ob der Tod des 19-jährigen Kamal in der Politischen Kriminalstatistik auftaucht ist offen. Die Ermittlungen über den Tatverlauf dauern an, der politischen Hintergrund eines der Täter dagegen liegt auf der Hand
Am frühen Morgen des 24.10. war Kamal K. auf dem Nachhauseweg von einer Diskothek in die Wohnung, wo er mit seiner Familie wohnt. Sein Weg führte den 19jährigen am Hauptbahnhof entlang. dort wurde er in den Parkanlagen rund um das Carl-Wilhelm-Müller-Denkmal von zwei Männern mit einem Messer attackiert und so schwer verletzt wurde, dass er wenig später im Krankenhaus seinen Verletzungen erlag.
Kamal stammte aus dem Irak und war mit seiner Familie seit Mitte der 1990er Jahre nach Deutschland emigriert.
Recht schnell erhärtete sich der Verdacht, dass es sich bei diesem Vorfall um ein Hassverbrechen handelt. Einer der beiden mutmaßlichen Täter, Daniel K., wurde inzwischen als aktiver Neonazi identifiziert. Der 28-jährige war langjährig in Aachen, Mönchengladbach und Düren in der Neonazi-Szene aktiv. Bei seinem letzten Gefängnisaufenthalt wurde er von der neonazistischen „Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene“ unterstützt. Der mutmaßliche Mittäter Marcus E. (32) soll Tätowierungen tragen, die auf eine rechte Gesinnung schließen lassen. Beide sind u.a. wegen Körperverletzung vorbestraft und erst im laufenden Jahr aus der Haft entlassen worden. Offensichtlich hatten sie sich in der JVA Waldheim kennen gelernt. Bei seiner Festnahme trug Daniel K.ein Shirt mit der Aufschrift „Kick off Antifascism“, ein Indiz dafür, dass er seiner politischer Einstellung auch nach zwei Jahren Gefängnisaufenthalt nicht abgeschworen hat.
Über den eigentlichen Tathergang kursieren inzwischen verschiedene bruchstückartige Informationen. So wird Kamals Freundin, die ihn in dieser Nacht nahe des Tatortes treffen wollte, in der BILD-Zeitung zitiert, sie habe gesehen, wie die beiden Männer mit Pfefferspray auf Kamal losgingen. Der Sächsische Ausländerbeauftragte Martin Gillo präsentierte nach einem Besuch bei der Familie Kamals eine ganz eigene Version der Tat; so habe Kamal auf dem Nachhauseweg in der Nähe des Hauptbahnhofes interveniert als zwei Männer einen 16-Jährigen bedrohten. Daraufhin wurde er selbst mit einem Messer attackiert. Aus Kreisen, die eng mit der Familie des Ermordeten in Kontakt stehen, wird berichtet, dass Kamals Freundin vor der Tat als „Ausländerschlampe“ beschimpft wurde.
Die Ermittlungsbehörden, Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft, bestätigten bisher keine der Versionen und können und wollen einen politischen Hintergrund weder bestätigen noch ausschließen. Ermittelt wird in alle Richtungen, heißt es. Die mutmaßlichen Täter schweigen weiterhin.
Dabei bietet die Definition „politisch motivierter Kriminalität“ des Bundesinnenministeriums durchaus die Handhabe zur entsprechenden Einordnung – als rechts motivierte Gewalttat. Nach dieser Definition werden Delikte erfasst, bei denen „die Umstände der Tat oder die Einstellung des Täters darauf schließen lassen, dass sie sich gegen eine Person aufgrund ihrer politischen Einstellung, Nationalität, Volkszugehörigkeit, Rasse, Hautfarbe, Religion, Weltanschauung, Herkunft, sexuellen Orientierung, Behinderung oder ihres äußeren Erscheinungsbildes bzw. ihres gesellschaftlichen Status richtet“.
Seit 1990 gab in Deutschland laut Angaben des Opferfonds Cura und der Amadeu-Antonio-Stiftung 149 Todesopfer rechter Gewalt. Laut Bundesregierung waren es lediglich 47.
Diese Diskrepanz konnte auch durch die 2001 vorgenommene Reform des Erfassungssystem politisch motivierter Kriminalität nicht behoben werden. Bis dahin zählten nur Straftaten, bei denen ein so genanntes extremistisches, also verfassungsfeindliches Tatmotiv eine Rolle spielte. Seit 2001 werden menschenverachtende Tatmotive einbezogen. Die trotzdem lückenhaft bleibende Erfassung resultiert zumeist aus der fehlerhaften Einordnung der Institutionen, die die Fälle bearbeiten. Wenn Polizei oder Richter, die zuerst mit den Fällen betraut sind, die Morde und deren Motive nicht explizit als Taten einordnen, die einen gruppenbezogen menschenfeindlichen Hintergrund haben, also rassistisch, antisemitisch, sozialdarwinistisch oder homophob motiviert sind, dann tauchen sie in der Statistik politisch rechts motivierter Gewalttaten auch nicht auf. Immer wieder ist außerdem zu beobachten, dass trotzdem die Biografien der Täter klare Verbindungen zu rechten Szenen aufweisen, Motive und Einstellungen bagatellisiert und verdrängt werden.
Wie im Fall des Mordes an dem 59jährige Obdachlose Karl-Heinz T.. Karl Heinz T. wurde am 23.8.2008 auf einer Parkbank am Schwanenteich schlafend von dem damals 18-jährigen Michael H. angegriffen. H. können Verbindungen oder zumindest eine Affinität zur rechten Szene nachgewiesen werden. So besuchte er vor der Tat eine von Neonazis dominierte Kundgebung aus Anlass des Mordes an dem 8-jährigen Mädchen Michelle. Auch rechte Musik gehörte zu seinen Vorlieben. Seinem Opfer hatte er in der Tatnacht verbal und mit äußerster Gewaltanwendung zu verstehen gegeben, dass dieser „hier nicht zu pennen habe“. Obwohl Tatumstände und Einstellung des Täters auf ein menschenverachtendes, sozialdarwinistisches Tatmotiv schließen lassen, spielte dies bei den Ermittlungen und beim Prozess keine Rolle. H. wurde im März 2009 wegen heimtückischen Mordes zu einer Haftstrafe von acht Jahren und drei Monaten verurteilt. Doch Karl-Heinz T., der seinen schweren Verletzungen zwei Wochen nach dem Übergriff erlegen war, taucht in der offiziellen Statistik der Opfer rechter Gewalt nicht auf. Genau wie Achmed Bachir (gest. 1996), Bernd Grigol (gest. 1996) und Klaus R. (gest. 1994) – allesamt in Leipzig gewaltsam zu Tode gekommen. Einzig Nuno Lourenco, der im Jahr 1998 in nach einem Fußball-WM-Spiel von 8 Jugendlichen in Markkleeberg misshandelt wurde und nach über 5 Monaten an den Folgen des Übergriffes starb, wurde aufgrund öffentlichen Drucks nachträglich in die offizielle Opfer-Statistik aufgenommen.
Die klare Benennung der krassen Dimension rechter Gewalt im wiedervereinigten Deutschland ist Motivation für die akribische Recherchearbeit von Vereinen, Initiativen und Gruppen, die sich für die offizielle Anerkennung der rechts motivierten Morde engagieren. Es geht um Sensibilisierung von Institutionen und Öffentlichkeit Motive von Taten und TäterInnen nicht zu verdrängen, zu verschweigen und zu leugnen. Es geht darum aktiv zu werden bevor Neonazis überhaupt gewalttätig werden können, darum Ideologien der Ungleichwertigkeit von Menschen (Rassismus, Antisemitismus, Faschismus, Nationalismus und Sozialdarwinismus) schon im Alltag entgegenzuwirken und nicht zuletzt darum den Opfern ein Gesicht zu geben.
Am 1. November 2010 nahmen rund 500 Menschen im Rahmen eines Trauerzuges Anteil am Tod von Kamal K. Drei Tage später demonstrierten 1200 Menschen gegen Rassismus, darunter auch Freunde und Angehörige. Es bleibt dringliches Gebot das Andenken an Kamal hoch zu halten und die Tatmotive zur öffentlichen Sache zu machen. Denn das Problem sind nicht nur die, die das Messer zücken und zustechen, sondern ein gesellschaftliches Klima, das durch Ausgrenzungs- und Abwertungsdenken geprägt ist sowie um eine Politik, die Rassismus produziert.