Lang ist es her seitdem infolge einer eskalierten Spontandemonstration in Leipzig fast 200 Menschen in der Braustraße eingekesselt und dabei 150 Handys, Vermummungsgegenstände und weiteres elektronisches Equipment einkassiert wurden. Wie ist der Stand der Dinge 15 Monate später?
Regelmäßig habe ich seit den Ereignissen nach der Herausgabe und Auslesung der technischen Geräte (Handys, Laptops, ipods und SD-Karten) gefragt. (Anfragen im Februar 2015, März 2015, September 2015 und Dezember 2015)
Noch immer befanden sich mit Stand 20. April diesen Jahres 31 Mobiltelefone, vier Filme für analoge Fotoapparate, vier SIM-Karten und ein 1 USB “trotz schriftlicher Benachrichtigung“ der Besitzer*innen in Verwahrung der Polizei. Bei drei Mobiltelefonen sei „die Zustellung der Benachrichtigung nicht erfolgreich“ und in einem Fall „die Adresse im Ausland“ gewesen. Zudem sind „eine Jacke und zwölf Vermummungsgegenstände Beweismittel im Verfahren.“
Das Gros der Geräte und anderen Gegenstände wurde über die Monate sukzessive herausgegeben und auch abgeholt. 13 InhaberInnen gaben ihre Zugangsdaten zu den nicht knackbaren Geräten an die Polizei heraus.
Interessant ist allerdings vor allem der Blick auf den Stand der Ermittlungsverfahren. Die Zahl war im Laufe der Zeit von 194 auf 198 namentlich bekannte Beschuldigte gestiegen, jeweils wegen des Tatvorwurfs des Landfriedensbruchs in einem besonders schweren Fall.
Davon sind bis dato 191 Verfahren gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden, „da im Ergebnis der durchgeführten Ermittlungen der für eine Anklageerhebung gebotene hinreichende Tatverdacht für eine Strafbarkeit der jeweiligen Beschuldigten als Täter oder Teilnehmer eines Landfriedensbruchs in einem besonders schweren Fall gemäß §§ 125, 125a S. 1, S. 2 Nr. 4 StGB im Zusammenhang mit den gewalttätigen Auseinandersetzungen vom 15. Januar 2015 nicht bejaht wurde.“
Sieben Ermittlungsverfahren gegen namentlich Bekannte dauern also noch an, genau wie eines gegen unbekannte Tatverdächtige.
Die Zahlen belegen die Berechtigung der seinerzeit geübten Kritik an willkürlichem Polizeihandeln. Fast 200 Menschen wurden für Straftaten in Haftung genommen, für die sie nicht verantwortlich gemacht werden können. Die Beschlagnahmung von 150 Handys und weiteren technischen Geräten, von denen mehr als die Hälfte ausgelesen werden konnte, kann als Daten(schutz-)Gau bezeichnet werden, auch wenn sich die Polizei wohl im Rahmen bestehender Gesetze bewegt hat.
Hinzu kommt die weitere Speicherung der Daten: Bereits in Antwort auf meine Kleine Anfrage vom Dezember 2015 gab die Staatsregierung an, dass eine Löschung der im Zuge der Auslesung von Mobilfunktelefonen und anderen Datenträgern gewonnenen Daten – auch denen der bereits eingestellten Verfahren – erst dann erfolgt, wenn endgültig feststeht, dass sie keine Verfahrensrelevanz mehr haben. Dies wird erst geschehen, wenn alle Verfahren im Zusammenhang mit dem 15.1.2015 abgeschlossen sind. Die personenbezogenen Daten der Beschuldigten bleiben bis zum Ablauf der Verjährungsfrist für die jeweilige Straftat in der staatsanwaltschaftlichen Verfahrensdatenbank zur Unterstützung der Vorgangsverwaltung gespeichert.
Der Ermittlungsausschuss empfahl bereits Ende 2015 allen Betroffenen, deren Verfahren eingestellt worden sind, trotzdem Anträge auf Datenlöschung einzureichen und möglicherweise sogar Entschädigung für entstandene Schäden zu beanspruchen. Dazu sind hier Musterschreiben zur Verfügung gestellt.
Ein Gedanke zu „Kritik bestätigt: Gros der Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit dem Kessel in der Braustraße im Januar 2015 eingestellt“