In der 15. Folge der linXXnet talXX steht der freie Sportjournalist Ullrich Kroemer aus Leipzig mir Rede und Antwort zum Verhalten des Profifußballs während der Corona-Pandemie. Er schreibt für verschiedene Printmedien, vorrangig die Mitteldeutsche Zeitung, und berichtet vorrangig über Themen rund um den Bundesligisten RB Leipzig.
Zum Einstieg in den Talk werfen wir einen gemeinsamen Blick zurück auf die Situation kurz vor dem Lockdown, als etwa hier in Leipzig vor über 40.000 Menschen die letzte sportliche Großveranstaltung vor der Unterbrechung aller Wettbewerbe stattfand. »Aus heutiger Perspektive wäre das gar nicht denkbar und ist auch nicht denkbar, vor Zuschauern zu spielen«, konstatiert Ulli Kroemer die damals eher laxe Haltung des Profisports der sich abzeichnenden Pandemie gegenüber, die der Fußballkosmos bis dahin kaum auf dem Schirm hatte. »Da ist Leipzig noch glimpflich davongekommen«, bemerkt Kroemer außerdem mit Blick auf ein Spiel von Atalanta Bergamo bereits drei Wochen zuvor im vollbesetzten Mailänder Stadion San Siro, das für eine riesige Zahl an Neuinfektionen mit dem Corona-Virus sorgte.
Anschließend richten wir unseren Fokus auf die derzeitige Situation: die kontrovers diskutierte Wiederaufnahme der Saison in den oberen beiden Fußballligen. Ulli Kroemer berichtet im Zuge dessen über die momentane »Zwangsisolation« der Teams, um eine infektionsfreie Vorbereitung auf die anstehenden Geister-Spieltage zu gewährleisten, wobei sich anschließend direkt am Fall von Dynamo Dresden aufzeigen lässt, auf welch tönernen Füßen das Konzept des Spielbetriebs steht, falls noch mehr Teams wegen Coronafällen in Quarantäne geschickt werden sollten.
Außerdem widmen wir uns der Erzählung von der angeblich unmittelbaren Insolvenzbedrohung für 13 der 36 deutschen Erst- und Zweitligavereine, falls die Saison abgebrochen würde. Ullrich Kroemer hätte sich hingegen gewünscht, dass die Profiklubs und der Ligaverband sich nach möglichen Alternativen abseits des postulierten »Zwangs« zur Fortsetzung des Spielbetriebs umgesehen hätten. Seiner Meinung nach wäre eine Möglichkeit etwa ein geschlossenes Herantreten der Vereine an die Unternehmen, die die Fernsehrechte innehaben, gewesen. Die aktuell extrem nachteilige erhebliche Abhängigkeit von den Fernsehgeldern hätte sich zum Beispiel durch eine Zahlung der entsprechenden Beträge auch bei Abbruch der Saison, die in den kommenden Jahren dafür einbehalten worden wären, abschwächen lassen können.
Ebenso weist Ulli Kroemer darauf hin, dass die zum Wochenende beginnenden Geisterspiele keineswegs eine »Rückkehr zur Normalität« bedeuten. »Es ist eine rein wirtschaftlich motivierte Entscheidung, und da hätte ich mir schon gewünscht, dass da andere Einflüsse stärker berücksichtigt worden wären, gesellschaftlich, moralisch, ethische Bedenken«, führt er dazu weiter aus. Diese Aspekte seien in der Diskussion um die Geisterspiele nur wenig präsent gewesen.
Danach sprechen wir über die Bedeutung der Geisterspiele für die Arbeit von Sportjournalist*innen, von denen wegen der Hygienebestimmungen ebenfalls nur eine deutlich reduzierte Anzahl die Stadien betreten darf. Wer nicht reinkommt, muss sich während des Spieltags wohl andere Schwerpunkte in der Berichterstattung als die 90 Minuten auf dem Rasen suchen.
Den letzten Teil des Talks widmen wir schließlich den unteren Ligen und dem Breitensport. Dabei streifen wir zuerst die beim Thema Geisterspiele tief gespaltene dritte Liga, in deren Fall das Hygienekonzept der oberen zwei Ligen zur Durchführung von Geisterspielen ebenfalls durchgesetzt werden soll, was mit erheblichen finanziellen und teilweise politischen Problemen verbunden ist. Außerdem geht es um die Initiative »Teamsport Sachsen«, in der sich alle sächsischen Profi-Sportvereine zur gemeinsamen Meinungsbildung zusammenschlossen, sowie die inzwischen langsam anlaufende Wiederaufnahme des Breitensports. Das alles natürlich unter strikter Wahrung der Abstandsregelungen, was etwa richtiges Fußballspielen abseits von Pass- und Schussübungen nach wie vor unmöglich macht. Entscheidender ist aber ohnehin das Gefühl der Gemeinschaft, wieder gemeinsam mit Freund*innen dem eigenen Hobby nachgehen zu können. Doch natürlich besteht auch der Drang, jegliche Sportarten wieder möglichst bald in ihrer gewohnten Form ausüben zu dürfen. »Es ist echt schwierig, da sozusagen die gesundheitliche gegen die soziale Komponente abzuwägen«, fasst Ulli Kroemer jene derzeitige gesellschaftliche Aufgabe prägnant zusammen, die auch außerhalb des Sports ihre Gültigkeit hat.
Zum Schluss unseres Gesprächs widmen wir uns den Auswirkungen der Geisterspiele auf die Fans. Den Vorschlag von Katja Kipping, die Partien komplett im Free-TV zu übertragen, hält Ulli Kroemer zwar für unrealistisch, da allein der Bezahlsender »Sky« etwa 800 Millionen Euro für die Übertragungsrechte bezahlt habe. Jedoch soll zumindest die Konferenz auf einem frei empfangbaren Kanal des Senders für alle zu sehen sein. Eine breite Verfügbarkeit der Spiele im Fernsehen ist abseits davon trotzdem immens wichtig, um Menschenansammlungen bei denjenigen, die sich ein Pay-TV-Abo leisten können, zu vermeiden.
Doch sowieso bleibt abzuwarten, wie hoch das Interesse der Fußballfans an den Geisterspielen ausfallen wird. Laut Ulli Kroemer ergab zum Beispiel eine Umfrage des Fanverbandes von RB Leipzig, dass nur eine Minderheit sich auf die Geisterspiele freue, die Mehrheit sie dagegen höchstens als notwendiges Übel für das Überleben der Klubs akzeptiere. Die aktiven Fanszenen und Ultras lehnen das Konzept der Geisterspiele sowieso kategorisch ab und haben inzwischen teilweise die Saison aus eigener Perspektive für beendet erklärt.
Am Samstag soll die Bundesliga nun wieder starten Ob wir den eingeschlagenen Weg befürworten oder ablehnen: Spannend wird für uns alle, wie sich das gesellschaftliche Ansehen des Profi-Fußballs durch den eingeschlagenen Weg verändert und ob die Saison durch die zu erwartenden Infektionen und Quarantänen nicht doch endgültig abgebrochen muss – was den Fundamentalkritiker*innen des modernen Fußballs wieder einmal recht gäbe.
Den komplett Talk zum Anschauen gibt’s hier: https://youtu.be/c91upg0LS4k