Für einen Beitrag über „Problemfans“ im Zusammenhang mit den Vorfällen beim Spiel BSG Chemie Leipzig vs. Rapid Chemnitz wurde ich um ein Statement für eine Presseveröffentlichung gebeten. Da der final am 20.11. in der Leipziger Volkszeitung erschienene Artikel meine Position nur unzureichend widerspiegelt, publiziere ich hier meine umfassende Antwort auf die gestellten Fragen.
Vorab sie noch angemerkt: Wegen einem Vorfall wie am 14. November 2015 im AKS das Fass „Problemfans“ oder „Problemverein“ aufzumachen, halte ich für übertrieben. Zudem bemerkt der Autor des LVZ-Artikels Thomas Fritz zurecht, dass Fanvereinigungen und übrigens auch DIE LINKE das Konstrukt „Problemfans“ samt der Kategorisierung der Fans in der Gewalttäter-Sport-Datei in A (friedlich), B (gewaltbereit) und C (gewaltsuchend) als rechtsstaatlich fragürdig und willkürlich kritisieren.
Auf diese Grundsatzfrage bezog sich die Presseanfrage jedoch nicht.
Hier die Antworten:
1. Glaubst du, das das Problem bei Chemie unter den Teppich gekehrt wird? Der Pressesprecher äußerte sich ja in der LVZ in der Form, dass die Provokationen („Heil Hitler“) vor allem von der anderen Seite ausgegangen seien. Dabei haben Zeugen schon vor dem Vorfall mutmaßliche Täter mit Eisenstangen gesehen.
Ich denke, dass der Vorfall bei Chemie kritisch diskutiert und ausgewertet wird. Der Hergang vor Ort (ich war nicht vor Ort), den müssen die Vereine und die Polizei nachvollziehen.
Wie ich gehört habe, war Chemie nicht bekannt, dass ein Chemnitzer Fanbus kommt. Dass aus diesem Bus dann aggressive, anhand einschlägiger Klamotten erkennbare Neonazis gestiegen sind, die dann auch noch „Heil Hitler“ skandieren, stellt eindeutig eine Provokation dar. Und es ist ja nicht das erste Mal: Bereits im Oktober hatten Riesaer Fans im AKS
neonazistische Schmährufe ausgestoßen.
Vor Fußballspielen finden ja eigentlich Sicherheitsnbesprechungen zwischen den Vereinen und Polizei statt. Warum war nicht bekannt, dass eine relevante Gruppe von provozierenden Nazis aus Chemnitz mitfährt? Warum war keine Polizei vor Ort? M.e. müssen genau die Fragen zuerst beantwortet werden.
2. Macht Chemie genug gegen seine Problemfans? Was machen Sie überhaupt?
Chemie pflegt seit Anbeginn – im Gegensatz zu anderen Vereine – eine sehr gute Zusammenarbeit mit dem Fanprojekt. Chemie hat ein äußerst agiles Vereins- und Fanleben, zeigt großes gesellschaftliches Engagement, für sozial Benachteiligte und für/ mit Geflüchteten, es gibt Bildungsfahrten, großartige, aussagekräftige Choreographien, Beteiligung an Stadtteilfesten etc. Das alles sind Maßnahmen, die auch präventiv und
integrativ wirken. Dass es Problemfans gibt, ist nicht zu verleugnen. Gegenfrage: Welcher Verein hat das nicht? Ich wüßte nicht, was der Verein außer repressiver Maßnahmen gegen „Problemfans“ machen sollte, und solche mag ich nicht befürworten. M.e. führen jene nicht zum Ziel, sondern verschärfen Aggressionen. Was in den Bereich der Strafverfolgung
fällt, ist eine andere Kiste.
Nicht verschweigen sollte man aber auch die Polizeigewalt, mit denen die Fans von Chemie immer wieder konfrontiert sind. Erst Anfang November bei der Rückkunft aus Heidenau wieder durch die faktische Stürmung einer Straßenbahn oder vor zwei Jahren in Zwenkau. Das Auftreten der Polizei gegenüber ChemikerInnen verschärft die Lage aus meiner Sicht, es lässt durchaus die Vermutung zu, dass es politisch motivierte Vorurteile gegenüber der Fanschaft gibt, die dann in einem überzogenen polizeilichen Handeln Ausdruck finden. Das sollte im Polizeiapparat mal kritisch diskutiert werden.
3. Falls nein, was könnte unternommen werden?
Die Vorfälle müssen natürlich vereinsintern kritisch diskutiert und mit dem Fanprojekt sozialpädagogische Kompetenz konsultiert werden, denn es handelt sich um eine junge Zielgruppe. Eine noch stärkere Einbeziehung der Fanschaft in die Vorstandsarbeit wäre sicherlich auch angebracht.
4. Du hast ja das Hooligan/Nazi-Problem bei Lok zurecht immer scharf kritisiert. Wie bewertest du das Problem mit gewalttätigen Anhängern bei Chemie?
Chemie hat mit den Diablos, der die Gewalttätigkeit ja gern zugeschrieben wird, eine klar antirassistische Fangruppe, die sich im Grundsatz für eine humane, offene Gesellschaft und gegen Neonazismus engagieren.
Das ist für mich qualitativ tatsächlich ein großer Unterschied zu den einschlägig bekannten Lok-Fans, die klar neonazistisch und menschenfeindlich motiviert sind/ waren. Meine Kritik bei Lok setzte auch immer zuerst bei der Duldung dieses Gedankenguts an, dessen
Resultat Gewalt gegen AntifaschistInnen oder MigrantInnen vor allem außerhalb des Stadions waren. Eine Rassismus und Nazis ablehnende Haltung wie bei den Chemie-Fans begrüße ich dagegen.
Dass bei Einzelnen die Sicherungen durchbrennen, wenn Nazis vor oder in ihrem Stadion gezielt provozieren, das kann ich nicht gut heißen. Meine Mittel sind das nicht. Verein und SpielerInnen haben sich hierzu wiederholt klar positioniert.
5. Was bedeutet der Vorfall für das Image und aus sportlicher Sicht?
Mithilfe seiner Fans hat sich Chemie in den letzten Jahren doch zusehends gemausert. Vor kurzem wurden die Verträge für den AKS verlängert, das Stadion mit massiver Unterstützung der Fanschaft in Schuss gebracht. Der Verein hat im vergangenen Jahr einen der Anerkennungspreise des Sächsischen Demokratiepreises und einen einen der Familienfreundlichkeitspreise der Stadt Leipzig gewonnen. Chemie führt die Landesliga-Tabelle derzeit an. Die Bilanz fällt also ziemlich gut aus. Der einzelne Vorfall vom 14.11. kann das Erreichte nicht überschatten. Er zeigt, aber dass es Handlungsbedarf gibt.
Bildquelle: http://diablos-leutzsch.net, Heidenau 8.11.2015