Das Niveau rechts und rassistisch motivierter Gewalt bewegt sich in Sachsen weiter auf einem erschreckend hohen Niveau. Die Betroffenen brauchen unsere Solidarität und sie brauchen Sicherheit. Meine Rede zum entsprechenden Antrag der Linksfraktion in der Landtagsplenarsitzung am 11. April 2017:
Das Niveau rechts und insbesondere rassistisch motivierter Gewalt bewegt sich in Sachsen weiter auf einem erschreckend und inakzeptabel hohen Niveau. Im Jahr 2016 sind rechts motivierte Straftaten weiter gestiegen, gab es 66 Gewaltdelikte gegen Geflüchtete und die Zahl der Angriffe auf die Wohnhäuser von Geflüchteten ist mit 117 gleichauf mit dem Vorjahr 2015.
Schauen wir uns die Statistik politisch motivierter Kriminalität rechts an, müssen wir seit 2014 einen erheblichen Anstieg verzeichnen, von 1700 Fällen auf mittlerweile knapp 2500. Der starke Anstieg der Fallzahlen ist vor allem auf den Anstieg fremdenfeindlicher Straftaten zurückzuführen. Betroffene sind Migrantinnen und Migranten, sind Geflüchtete – eben weil sie das personifizierte Feindbild von Rassistinnen und Rassisten sind,
Den besorgniserregenden Anstieg rassistisch motivierter Gewalt identifizieren auch die Beratungsstellen für Opfer rechter Gewalt der RAA in Sachsen. Im vergangenen Jahr gab es nach deren Statistik 437 Angriffe mit 685 betroffenen Personen. Davon war das Gros – nämlich 306 Angriffe – rassistisch motiviert, also richtete sich gegen Migrantinnen und Migranten. Überwiegend handelte es sich bei den Angriffen um Körperverletzungsdelikte (301). Einen Peak gibt es dabei auch bei der Gewalt gegen Kinder: 73 Betroffene von rechts motivierter und rassistischer Gewalt im Jahr 2016 waren unter 16 Jahre alt.
Und all das ist „nur“ die Spitze eines Eisberges. Betroffene haben tagtäglich zu tun mit Beleidigungen auf der Straße, Anfeindungen in Straßenbahn oder Bus, auf dem Weg zum Sprachkurs, Ausgrenzung in der Schule oder herablassender Behandlung in den Behörden.
Darüber zu reden anstatt über eine vermeintliche Flüchtlingswelle, über die Kosten die schutzsuchende Menschen verursachen, oder über Abschiebungen als Kehrseite der Aufnahmebereitschaft, dafür wäre es Zeit. Und ja, wir haben in den vergangenen Monaten viel über das Thema Rassismus diskutiert, aber meistens nur dann wenn es – nach Heidenau, Clausnitz oder Bautzen – unvermeidlich war. Vermisst haben wir in den Debatten die Empathie mit den Betroffenen, mit den Menschen, die sich hier ein neues Leben aufbauen wollen und wollten, Aufmerksamkeit für die Dimension des rassistischen Alltags, dem diese Menschen unterworfen sind, und wir haben die Grenzsetzung vermisst, die weit vor dem Brandsatz auf die Asylunterkunft beginnt. Und auch hier in diesem Landtag haben zu viele Pegida offen oder mindestens unkritisch gegenüberstanden, in einer Zeit, in der Lutz Bachmann Geflüchtete als „Viehzeug“ bezeichnet hat.
Wir haben es an verschiedenen Stellen der Auseinandersetzung auch in diesem Hohen Haus betont: Wir brauchen ein ernsthaftes Bekenntnis gegen Rassismus und Diskriminierung, und wir brauchen wirksame Maßnahmen, sowohl in präventiver Hinsicht, bei Schutz und Wiedergutmachung für die Opfer, als auch bei Strafverfolgung und Konsequenzen für die Täterinnen und Täter.
Denn schauen wir uns die Aufklärungsquoten insbesondere bei den Straftaten gegen Asylunterkünfte an, können wir nur ernüchtert sein: Laut diverser Kleiner Anfragen von mir wird ein Großteil der Verfahren wegen Angriffen auf Asylunterkünfte eingestellt: Anfang Februar 2017 hatten gerade einmal 15 von 111 Ermittlungsverfahren aus dem Jahr 2015 zur Verurteilung geführt, aber 73 Verfahren wurden eingestellt! Das waren zu dem Zeitpunkt etwa 65 Prozent! Und im Jahr zuvor, im Jahr 2014 wurden 90 % der Verfahren folgenlos eingestellt!
Diesen bedenklichen Entwicklungen vereint die Stirn zu bieten und dabei Empathie vor allem für die Opfer zu zeigen, die als Schutzsuchende nach Deutschland geflohen sind, und neben Alltagsrassismus, Bedrohungen oder gar Gewalt auch noch in einer durchaus schwierigen Lebenssituation stecken – ich verweise hier auf den unsicheren Aufenthaltsstatus, eine unsichere Zukunftsperspektive und zahlreiche Barrieren im Alltag – dies wollen wir mit diesem Antrag erreichen.
Und wir bitten sie, neben dieser eigentlich selbstverständlichen Willensbekundung der Staatsregierung, mit Zustimmung zu unserem Antrag heute den Auftrag zu erteilen, einen Erlass nach dem Vorbild des Nachbarlandes Brandenburg vorzulegen, der für Opfer rechter Gewalt mit unsicherem Aufenthaltsstatus ein Bleiberecht ermöglicht.
Wir greifen mit diesem Vorschlag einen entsprechenden Erlass auf, den das Land Brandenburg bereits im Dezember 2016 in Reaktion auf einen Landtagsbeschluss veröffentlicht hat und der einer nicht ganz neuen Forderung von Opfer-Verbänden entspricht.
Es ist höchste Zeit, im Sinne der Opfer rechter Gewalt aktiv zu werden. Die Betroffenen brauchen unsere Solidarität und sie brauchen Sicherheit. Es geht bei dem in Rede stehenden Erlass um eine nachdrückliche Klarstellung, dass die Möglichkeiten, die das Aufenthaltsgesetz jetzt schon kennt, von den Ausländerbehörden auch genutzt werden.
Es geht hier nicht um eine Form von Bevorteilung, sondern darum, Menschen für erlittenes Unrecht zu entschädigen. Was könnte schlimmer für einen z.B. vor Krieg und Verfolgung geflohenen Menschen sein, hier Opfer einer rassistischen Attacke zu werden, und während oder auch nach dem Strafverfahren abgeschoben zu werden. Wie es beispielsweise einem algerischem Asylsuchenden geschah, der im Juni 2013 in Dresden rassistisch beleidigt und zusammengeschlagen wurde. Der Täter wurde gefasst, die Staatsanwaltschaft erhob Anklage, der Betroffene wollte im Prozess als Nebenkläger auftreten. Doch dann verlängerte die Ausländerbehörde den Aufenthalt nicht und der Mann konnte im Prozess weder aussagen noch seine Rechte als Nebenkläger wahrnehmen. Im schlimmsten Fall kann die Abschiebung der Betroffenen sogar dazu führen, dass die Täter mangels entsprechender Zeugenaussagen straffrei bleiben. So werden rassistische Täter quasi vor Strafverfolgung geschützt, und das kann und darf nicht sein.
Tatsächlich bietet das Aufenthaltsgesetz wie erwähnt schon jetzt entsprechende Möglichkeiten, einerseits mit § 60a Absatz 2 Abschiebungen auszusetzen, wenn die Anwesenheit des oder der Betroffenen als ZeugIn in einem Strafverfahren als nötig erachtet wird, andererseits aber auch nach Abschluss des Strafverfahrens ein Bleiberecht zu ermöglichen. Dafür bedient sich der Erlass aus Brandenburg dem § 25 Absatz 5 Satz 1 Aufenthaltsgesetz: Das erhebliche öffentliche Interesse an einem Verbleib des Opfers einer rechten Gewalttat sowie die dringenden humanitären Gründe wirken nach Beendigung des Strafverfahrens fort, werden so zu einem inlandsbezogenen Abschiebungshindernis und auf dieser Grundlage kann eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden. Auch die Kommunikations- und Informationswege zwischen Ausländerbehörde, Staatsanwaltschaft, Polizei und Betroffener/m werden in dem Erlass ausgeregelt, so dass Fehlentscheidungen aufgrund Nichtwissens der Riegel vorgeschoben wird.
Warum sollten wir uns diese positive Auslegung des Aufenthaltsrechts im Sinne der Opfer rechter Gewalt nicht zu eigen machen! Auch in Sachsen sollten die entsprechenden Ermessensspielräume genutzt werden. Den kommunalen Ausländerbehörden soll im Rahmen des Sonderaufsichtsrechts der Weg gewiesen werden, bestehende Möglichkeiten konsequent auszuschöpfen.
Neben Wiedergutmachung, Schutz und Ruhe für die Betroffenen rechter und rassistischer Gewalt, die für uns im Vordergrund stehen, soll der Erlass auch eine quasi generalpräventive Wirkung entfalten, indem Täter und Täterinnen von rassistischen Handlungen quasi abgehalten werden, weil sie damit das Gegenteil dessen erreichen, was sie eigentlich bezwecken. Dass das nur ein Mosaiksteinchen ist, ist uns klar. Nachhaltig wird Rassismus ganz sicher nur durch nachhaltige, langfristige Bildungsarbeit und durch das ganz praktische Zusammenleben mit MigrantInnen zurückgedrängt werden können.
Hier ist vor allem in Sachsen noch viel zu tun, genau wie meine Fraktion der Meinung ist, dass um dem vorgetragenen Anliegen auch zweifelsfrei gerecht zu werden es eigentlich der Änderung bundesgesetzlicher Grundlagen bedarf. In diesem Sinne hat die Fraktion meiner Partei im Bundestag bereits im Jahr 2014 einen Gesetzesentwurf zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes ins Verfahren gebracht, mit dem in § 25 ein Absatz 4 c eingefügt werden und damit der Schutz der Opfer rechter Gewalt korrespondierend zu den Opfern von Menschenhandel, von Ausbeutung der Arbeitskraft bzw. der Ausbeutung unter Ausnutzung einer Freiheitsberaubung auch bundesgesetzlich bekräftigt werden sollte. Dieser Gesetzesentwurf, der von der großen Koalition selbstverständlich abgelehnt wurde, war und ist auch eine Reaktion auf die Verbrechen des NSU und das staatliche Versagen insbesondere im Umgang mit den Opfern und ihren Angehörigen. Dies illustriert konkret der Fall von Mehmet Turgut, der im Februar 2004 vom NSU in Rostock ermordet wurde. Er war mit der Identität seines Bruders nach Deutschland eingereist, nachdem seine Asylanträge als Kurde aus der Türkei abgelehnt und er abgeschoben worden war. Hätte Mehmet Turgut den rassistischen Mordanschlag überlebt, wäre er vermutlich abgeschoben worden – wie im Übrigen auch sein Bruder Yunus Turgut, der nach seiner Zeugenvernehmung durch die Polizei im Mordfall an seinem Bruder direkt in die Türkei abgeschoben wurde.
In diesem Sinne: nehmen sie sich ein Herz, gehen sie mit uns den ersten Schritt, den wir als Bundesland gehen können, und setzen sie mit der Zustimmung zu unserem Antrag ein deutliches und auch praktisches Signal, dass die Politik sich dem Anliegen der rechten Täterinnen und Täter entgegenstellt, die Menschen ausländischer Staatsangehörigkeit durch Gewaltanwendung einschüchtern und aus dem Land vertreiben wollen.
Der Antrag wurde abgelehnt.