Rede von Juliane Nagel zum Antrag der Fraktion DIE LINKE „Ganzheitliches Handlungs- und Kommunikationskonzept für eine menschenwürdige Unterbringung von Flüchtlingen und eine bedarfsgerechte Flüchtlingssozialarbeit in Sachsen“
Plenum des Sächsischen Landtages am 17.1.2014
– Es gilt das gesprochene Wort! –
Sehr geehrter Herr Präsident,
liebe KollegInnen und liebe Gäste,
wir haben uns bereits in der Aktuellen Debatte eher grundsätzlich mit dem Thema Asyl befasst.
An dieser Stelle und mit unserem Antrag „Nicht nur lenken, sondern schnell handeln“ wollen wir nun endlich konkret und verbindlich werden. Konkreter und verbindlicher, als es die Staatsregierung unter der CDU in der vergangenen, aber auch der aktuellen Legislaturperiode jemals geworden ist.
Der Anstieg der Zahlen von Menschen, die in Europa und Deutschland Zuflucht und Schutz suchen, war lange absehbar. Bereits 2012 deutete sich der Aufwuchs an, er wurde 2013 nochmal übertroffen, auch die Prognosen für 2014 sprachen eine klare Sprache. Zudem erreichen uns alle tagtäglich die Meldungen über sich zuspitzende internationale Konflikte. Nicht zuletzt mussten wir bereits im vergangenen Jahr denen Kontra geben, die zunehmend Hass gegen Flüchtlinge schürten. Es hätte also schon lange ein Konzept vorliegen müssen, mit dem wir in Sachsen Flüchtlinge und Asylsuchende einerseits menschenwürdig unterbringen und integrieren und wie wir andererseits für eine echte Willkommenskultur sorgen können. Wir sehen in diesen Punkten klar den Freistaat in der Pflicht, der den Landkreisen und kreisfreien Städten die Aufgabe der Unterbringung und Versorgung von Asylsuchenden und Flüchtlingen als Pflichtaufgabe nach Weisung überträgt.
Das Spitzengespräch zum Thema Asyl am 24.11.2014 – medial auch als Asylgipfel bezeichnet – kam aus unserer Sicht nicht nur viel zu spät. Auch die Ergebnisse scheinen mager und unverbindlich. Dass zudem der Landtag aus diesem Prozess ganz und gar herausgehalten wurde, finden wir inakzeptabel. Herr Ulbig, ihr Parteikollege und nunmehr ehemaliger Ausländerbeauftragter Martin Gillo hat zu Recht betont, dass Asyl eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist. Wir würden uns freuen, wenn sie sich dieser richtigen Perspektive endlich anschließen würden.
Wir wollen ausgehend von den Ergebnissen des Asylgipfels ein ganzheitliches Handlungs- und Kommunikationskonzept für die Aufnahme, menschenwürdige Unterbringung und bedarfsgerechte Betreuung von Flüchtlingen festschreiben und finanziell untersetzen. Dafür haben wir elf konkrete Schritte formuliert. Wir wollen das Konzept auf breite Schultern verteilen und dafür den Sächsischen Ausländerbeauftragten, den Sächsischen Flüchtlingsrat, die kommunalen Spitzenverbände und vor allem die Menschen einbinden, die sich mit viel Herzblut haupt- und ehrenamtlich für die Belange von Asylsuchenden einsetzen. Sie sind die eigentlichen ExpertInnen. Sie fehlten sowohl bei der Erarbeitung des im Februar 2014 vom SMI vorgelegten Kommunikations- und Unterbringungskonzeptes als auch beim Asylgipfel.
Diesem Missstand wollen wir mit den Punkten 5 und 11 unseres Antrages abhelfen und genau jene Akteure gleichrangig nicht nur in die konkreten Aufgaben um Unterbringung und Betreuung von Flüchtlingen involvieren, sondern ihre Kompetenzen auch in die Erarbeitung und Umsetzung einer gemeinsamen Strategie zur frühzeitigen Kommunikation und Information vor Ort einfließen lassen. Wir wissen, dass die Landeszentrale für politische Bildung hier durchaus aktiv war und auch die Landesdirektion Informationsveranstaltungen anbietet. Aus meiner eigenen Erfahrung in Leipzig kann ich allerdings sagen, dass es vor allem das Engagement von antirassistischen Initiativen, Bürgervereinen und Kirchgemeinden war, das die oft feindliche Stimmung gegenüber Asylsuchenden nachhaltig zum Kippen gebracht hat. Fangen sie, liebe Herren und Damen dieses hohen Hauses, bitte endlich an, dieses zivilgesellschaftliche Engagement zu würdigen und auf Augenhöhe einzubeziehen.
Der im Rahmen des Asylgipfels vereinbarte Lenkungsausschuss als Gremium zwischen Landesministerien und offiziellen VertreterInnen der Landkreise und Kreisfreien Städte kann diese Feinarbeit nicht leisten. Die ebenfalls ins Leben gerufene Parallelveranstaltung namens Verbändeversammlung ist bis dato eine Black Box. Wie oder ob sich die Zivilgesellschaft hier beteiligen kann, konnte uns bisher nicht erklärt werden.
Zu den weiteren Punkten unseres Antrages: Wir wollen die dezentrale Unterbringung forcieren. Laut Antwort auf meine Kleine Anfrage vom 01.12.14 leben in Sachsen 47 % der Asylsuchenden in Wohnungen. In der Realität sind es weniger, denn die Antwort schließt neu errichtete Notunterkünfte nicht ein und erfasst auch Flüchtlinge, die gar nicht der Heimpflicht unterliegen. Wir fordern die Staatsregierung, auf dezentrale Unterbringung im Sinne eines selbstbestimmten Wohnens auf allen Ebenen zu forcieren und zu unterstützen. Wohlwissend, dass die Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften per Bundesgesetz als Regelunterbringung festgeschrieben ist, sehen wir nichtsdestotrotz ausreichend Spielräume. Dezentrale Unterbringung ist nicht nur für die betroffenen Menschen besser und befördert die Integration. Mit dezentraler Unterbringung können Konflikte vermieden werden. Konflikte, die aus dem Zusammendrängen von viel zu vielen Menschen auf kleinem Raum resultieren, aber auch die Konflikte, die AnwohnerInnen heraufbeschwören, weil sie das Zusammenleben mit geflüchteten Menschen ablehnen.
Ein weiterer zentraler Punkt ist die Gewährleistung einer quantitativ und qualitativ bedarfsgerechten Flüchtlingssozialarbeit. Abweichend von den windelweichen Empfehlungen des Kommunikations- und Unterbringungkonzeptes von SMI und Landkreis- sowie Städte- und Gemeindetag (1:150) wollen wir einen Betreuungsschlüssel von 1:80 für sonstige Unterkünfte bzw. 1:40 für Gemeinschaftsunterkünfte festschreiben. Erstere Größe empfehlen die Liga der Wohlfahrtsverbände und der Sächsische Flüchtlingsrat, zweiteren Schlüssel hat die Stadt Leipzig definiert. Diese beiden Größen sollten beispielhaft für den gesamten Freistaat sein. Soziale Betreuung ist die Grundlage dafür, dass die oft hohen psychischen Belastungen ausgesetzten Flüchtlinge und Asylsuchenden während ihres Aufenthalts in Deutschland ein selbstverantwortliches und menschenwürdiges Leben führen können, sie wirkt integrativ, gibt asylverfahrensrechtliche Unterstützung und hat eine wichtige kommunikative Aufgabe in alle gesellschaftlichen Bereiche. Insofern ist eine qualifizierte Flüchtlingssozialarbeit von der wichtigen, aber zusätzlichen ehrenamtlichen Unterstützungsarbeit abzugrenzen. Sie muss als hauptamtliche Arbeit verstanden und finanziert werden. Bisher hat sich der Freistaat hier fast komplett aus der Affäre gezogen. Für den kommenden Doppelhaushalt wurde bereits eine Million Euro zur Unterstützung der Kommunen versprochen. So begrüßenswert es ist, dass sich der Freistaat überhaupt seiner Verantwortung bewusst wird: Der Betrag ist lächerlich. Allein die Stadt Leipzig veranschlagt für diese Aufgabe 2015 2,4 Millionen Euro.
Wir wollen nicht nur ein besseres Betreuungsverhältnis, nein, Sozialarbeit muss für alle geflüchteten Menschen – egal ob in Gemeinschaftsunterkünften oder dezentral untergebracht – vorgehalten werden. Nicht zuletzt müssen auch die Erstaufnahmeeinrichtungen verbindlichen Standards unterworfen und für besonders schutzbedürftige Personen nochmal ganz andere Anforderungen formuliert werden. Für einige Landkreise und Träger ist die Sozialarbeit mit Flüchtlingen Neuland. Es braucht aus unserer Sicht einen landesweit einheitlichen und verbindlichen Qualitätsrahmen und eine Kontaktstelle, die den örtlich tätigen SozialarbeiterInnen beratend und mit Fortbildungs- und Mediationsangeboten zur Seite zu steht. Wir brauchen einen Qualitätssprung – fachlich und im Hinblick auf die finanzielle Ausstattung.
Ich habe es eingangs formuliert: die Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen ist eine Landesaufgabe, die an die Landkreise und Kreisfreien Städte übertragen wird. Daraus folgt, dass das Land in der Pflicht steht, die damit entstehenden Kosten zu refinanzieren. Real hat die Unterbringungspauschale nach SächsFlüchtlG 2012 nur 68 % (2012) und 2013 76 % der tatsächlichen Ausgaben der kommunalen Ebene gedeckt. Hinzu kommt die Beteiligung der Kommunen an den Kosten für Gesundheit, Schwangerschaft und Geburt in Höhe von 7669,38 EUR pro Person. Nicht zuletzt verweigert der Freistaat die Zahlung der Pauschale für Personen im Sinne des § 25, 5 Aufenthaltsgesetz, obwohl diese vom Landesgesetz erfasst sind.
Wir wollen die kommunale Ebene bei der staatlichen Unterbringungsaufgabe finanziell nachhaltig entlasten.
Wir wollen die Landespauschale auf 2000 Euro/Quartal erhöhen, dies entspricht den Empfehlungen des vom Innenministerium beauftragten Gutachtens von Prof Dr. Thomas Lenk. Wie der Landkreistag plädieren wir für eine regelmäßige Evaluierung und Anpassung der Pauschale.
Die bis dato verweigerte Kostenübernahme für Personen im Sinne des § 25,5 Aufenthaltsgesetz, also Geduldete mit Soll-Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis durch den Freistaat, macht einen nicht unerheblichen Teil der Kostenunterdeckung der Landkreise und Kommunen aus. Bei zirka 1100 Personen landesweit kommt hier ein stattlicher Mehraufwand zusammen, den wir in die Erstattungspraxis einspeisen wollen. Auch bei den inhaltlich sowieso kritikwürdigen, weil auf die reine Notversorgung ausgerichteten Gesundheitsleistungen wollen wir den Freistaat in die Pflicht nehmen und die gesetzlich festgeschriebene kommunale Eigenbeteiligung streichen. Schließlich profitiert auch der Freistaat von den Sonderzuweisungen des Bundes in Höhe von einer Milliarde Euro für 2015/16, einem Deal, der im Bundesrat zu Ungunsten einer ordentlichen Gesundheitsversorgung für Asylsuchende und Flüchtlinge zustande gekommen ist. Reichen sie nun das Geld zumindest an die Kommunen weiter, sehr geehrter Herr Finanzminister.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, es muss Schluss sein mit leeren Versprechungen und Stückwerk. Lassen sie die humanitäre und völkerrechtliche Pflicht, Menschen Schutz und Asyl zu bieten, endlich gemeinsam und verantwortungsvoll angehen!
>>> download Antrag Drucksache 6/422
Der Antrag wurde abgelehnt.