Mindestens 152 Menschen sind in Deutschland seit 1990 durch rechts motivierte Gewalt zu Tode gekommen. Mindestens sechs davon in Leipzig. Nach dem rassistischen Mord an Kamal am 24.10.2010 wurde die Forderung nach einer breiteren öffentlichen Auseinandersetzung mit dem Thema wie auch die Forderung nach Etablierung einer eigenen Erinnerungskultur, die diesen krassen Ausmaßen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit Rechnung trägt, laut.
In der Antwort auf eine Anfrage der Linksfraktion im November 2010 wurde seitens des OBM noch ausgeführt, dass jenseits der Thematisierung aktueller Ereignisse im Rahmen von städtischen Gedenkveranstaltungen für Opfer des Nationalsozialismus keine Notwendigkeit für eine eigene Gedenkkultur für die Opfer rechter Gewalt der Gegenwart gesehen wird. Dies klingt in der Antwort auf meine aktuelle Anfrage (download als pdf) schon anders: die Weiterentwicklung einer Erinnerungskultur, die sich den Opfern nach 1990 widmet, wird darin explizit begrüßt.
Seit Ende 2011 ebnet die AG Erinnerungskultur diesem Anliegen den Weg. Das erste konkrete Vorhaben ist die Errichtung eines Gedenkortes für Kamal im Park gegenüber des Hauptbahnhofes. Dort hatten die zwei Nazis Daniel K. und Marcus E. den damals 19-jährigen geschlagen und niedergestochen, in der Ritterpassage brach Kamal zusammen, intensivste medizinische Bemühungen konnten sein Leben nicht retten.
Unter Mitwirkung des Zentrum demokratische Bildung der Stadt, der Opferberatung der RAA Sachsen, dem Initiativkreis Antirassismus arbeitete die beim Migrantenbeirat der Stadt Leipzig angesiedelte AG Erinnerungskultur im vergangenen Jahr in enger Abstimmung mit Angehörigen von Kamal sowohl einen Standortvorschlag als auch die Gedenkinstallation selbst. Ziel war es den Gedenkort zum 2. Todestag Kamals am 24.10.2012 einzuweihen.
Als Ort fasste die AG die C.-W.-Müller-Anlage, den Park gegenüber des Hauptbahnhofes, in den Blick. Das städtische Amt für Stadtgrün und Gewässer gab sein grundsätzliches Ok zum Vorhaben und beantragte beim Landesamt für Denkmalschutz die notwendige Genehmigung. Nach einer Begehung im Beisein der Landesbehörde im Herbst 2012 folgte ein erster Rückschlag. Das Landesamt für Denkmalschutz sah diesen Ort grundsätzlich kritisch und beauflagte, dass der Gedenkstein künstlerisch begleitet und durch eine ExpertInnenkommission abgenickt sein müsse. Die Gedenkinstallation war währenddessen in Form eines Buches aus Stein, ergänzt durch eine Text-Platte in Erinnerung an Kamal und andere Opfer rechter Gewalt hergestellt worden.
Dass die Auflage nicht nur Zeitverzögerung, sondern auch ein komplizierteres Prozedere bedeuten würde, war klar, dass sie allerdings mit einer Ablehnung des konkreten Entwurfes am ausgewählten Standort enden sollte, hatte keineR der Beteiligten ernsthaft gedacht. Schließlich ging und geht es um die Wünsche und Ideen von Hinterbliebenen. Doch das die Stadtverwaltung beratende Sachverständigenforum „Kunst am Bau und im öffentlichen Raum“, dem das Konzept im Februar 2013 vorgestellt wurde, befand, dass die Installation „unter künstlerischen Aspekten nicht mitgetragen werden kann“. Und mehr noch: dieser Position bedient sich der Leipziger Oberbürgermeister in seiner Antwort auf die aktuelle Anfrage. Heißt: der existente Entwurf, der in einem monatelangen Prozess mit Mutter und Bruder von Kamal entstanden ist, muss verworfen werden! Eine Alternative bietet möglicherweise der Standort Ritterpassage, der einer privaten Immobilienfirma gehört (doch auch hier muss den Maßgaben der Stadt für Kunstwerke im öffentlichen Raum mit großer Sicherheit Rechnung getragen werden) oder die Neuanfertigung einer Gedenkinstallation unter Maßgaben der Stadt – „beispielsweise über einen Einladungswettbewerb mit ausgewählten Künstlern erfolgen, der durch das Kulturamt begleitet wird. “
Auch wenn diese Wege gangbar scheinen, bleibt angesichts des Umgangs mit Wünschen und Ideen von Hinterbliebenen von Todesopfern rechter Gewalt und deren UnterstützerInnen, die offenbar weniger wiegen als künstlerisches ExpertInnentum, ein mehr als bitterer Beigeschmack.
In gut drei Monaten jährt sich der Todestag von Kamal zum dritten Mal. Einen Gedenkort wird es bis dahin mit großer Wahrscheinlichkeit nicht geben. Zumindest keinen offiziell abgenickten.