Im Oktober machten erneut Aktivist*innen mit Hausbesetzungen auf Leerstand und den akuten Mangel an bezahlbarem Wohnraum in Leipzig aufmerksam. Insgesamt drei Wohnhäuser wurden kurzzeitig in Besitz genommen, ein weiteres symbolisch, und jeweils Nutzungskonzepte veröffentlicht (https://abeta.noblogs.org). Diese zeigten nicht nur, wie mit leerstehenden Gebäuden gesellschaftlich Wertvolles und Nötiges geschaffen werden könnte, sondern waren auch ausdrücklich als Gesprächs- und Mitmachangebote an die Nachbarschaften gedacht. Anders als in den Fällen der Ludwigstraße 71 im Jahr 2020 (#Luwi71) oder der Hermann-Liebmann-Straße 108 (#Helium) 2023 beendete die Polizei die Besetzungen diesmal umgehend.
Mit Anfragen an Stadt und Land haben wir die Besitzverhältnisse, den Status der Häuser und die Polizeieinsätze hinterfragt.
Die Stadt Leipzig antwortete im November zu den betreffenden Gebäuden und zur Dauer des Leerstandes:
Lützner Straße 99
Das Gebäude ist der Verwaltung als Leerstand bekannt. Das Gebäude ist im aktuellen Zustand nicht bewohnbar. Es besteht nach Aktenlage eine private Eigentümerschaft. Aus privaten Gründen konnte das Gebäude von den Voreigentümern nicht saniert werden, obwohl sie dies geplant hatten.
Mit den „ursprünglichen“ Eigentümern wurden Beratungen zum Erhalt des Gebäudes durchgeführt und die Möglichkeiten einer Sanierung bzw. eines Verkaufs erörtert. Letztendlich haben sich die Eigentümer 2024 zu einem Verkauf entschlossen. Der Erwerber hat das Objekt allerdings weiterverkauft. Mit dem aktuellen Eigentümer laufen mit der Stadt zurzeit Vorabstimmungen zur Modernisierung/Sanierung.
Im März fand eine Bauberatung vor Einreichen des Bauantrages unter Teilnahme der Ämter, des Planers und des Bauherren statt. Der neue Eigentümer bereitet einen Bauantrag vor.
Waldstraße 9
Das Gebäude ist als Leerstand bekannt. Das Gebäude ist im aktuellen Zustand nicht bewohnbar. Es besteht nach Aktenlage eine private Bauherrin/ Eigentümerschaft.
Für das Gebäude liegt eine Baugenehmigung vor: Nutzungsänderung und Umbau von zwei Mehrfamilienhäusern zu einem Hotel. Mit der Ausführung wurde begonnen, diese ist jedoch aktenkundig seit Januar 2023 unterbrochen. Es liegt ein Bescheid vor, der eine Verlängerung der Geltungsdauer der Ausnutzung der Baugenehmigung vom 22.03.2019 und eine Wiederaufnahme der Bauarbeiten bis zum Januar 2027 ermöglicht.
Die Stadt Leipzig ist bisher nicht aktiv gegen den Leerstand vorgegangen, da von einer Weiterführung der Umbauarbeiten ausgegangen wurde.
Julius-Krause-Straße 8
Das Gebäude war als Leerstand bislang nicht bekannt. Das Gebäude ist im aktuellen Zustand nicht bewohnbar. Es besteht nach Aktenlage eine private Eigentümerschaft.
Zum Objekt gab es im Oktober 2024 eine Anfrage an die Bauberatung zu Umbaumaßnahmen am Gebäude. Auf die ggf. erforderliche Baugenehmigung wurde in diesem Zusammenhang hingewiesen. Ein Bauantrag liegt derzeit nicht vor.
Die Stadt Leipzig ist nicht bisher nicht aktiv gegen den Leerstand vorgegangen.
Einertstraße 3
Es gibt nach Aktenlage eine private Eigentümerschaft.
Für das Objekt wurde eine Baugenehmigung mit Datum vom 02.08.2013 erteilt. Der Widerspruch eines Nachbarn wurde mit Bescheid vom 13.02.2018 abgewiesen. Es fanden bis 2018 Bautätigkeiten statt. Danach und bis heute ruht die Bautätigkeit. Die Baugenehmigung ist demnach erloschen.
Im Frühjahr 2025 schlugen mehrere Versuche des Amts für Wohnungsbau und Stadterneuerung, den Eigentümer im Rahmen eines Erörterungsverfahrens zu kontaktieren, fehl.
Seit 2024 gilt in Leipzig die Zweckentfremdungssatzung. Sie ermöglicht der Stadt, gegen Zweckentfremdung von Wohnraum durch Ferienwohnungsnutzung oder Leerstand vorzugehen. Steht Wohnraum mehr als ein Jahr leer, kann dies eine Zweckentfremdung darstellen, die mit einem Bußgeld von bis zu 100.000 Euro geahndet werden kann. Die Regelungen greifen jedoch nur unzureichend. Zum einen kommt die Stadt bei der Abarbeitung von Meldungen kaum hinterher, zum anderen ist ein Vorgehen nur bei sogenanntem marktaktivem Leerstand möglich – also dort, wo keine umfangreichen Bau- oder Sanierungsmaßnahmen erforderlich sind. Bei den ehemals besetzten Häusern läuft die Regelung offenbar ins Leere.
Im Zuge der landesgesetzlichen Regelung des Zweckentfremdungsverbots, auf das Leipzig zurückgreifen kann, hatte Die Linke gefordert, auch Verwahrlosung von Immobilien als Zweckentfremdungstatbestand aufzunehmen, wie es in vielen anderen Bundesländern üblich ist. Dies scheiterte jedoch an der schwarz-rot-grünen Landesregierung. Eine solche Regelung würde im Hinblick auf die betroffenen Objekte möglicherweise eher greifen.
Verwunderlich ist zudem, dass die Stadt in diesen (und weiteren) Fällen nicht von Modernisierungs- und Instandhaltungsgeboten nach § 177 BauGB Gebrauch macht, wie es im aktuellen wohnungspolitischen Konzept angekündigt wird (wie es im aktuellen Wohnungspolitischen Konzept bekundet wird (https://static.leipzig.de/fileadmin/mediendatenbank/leipzig-de/Stadt/02.6_Dez6_Stadtentwicklung_Bau/61_Stadtplanungsamt/Oeffentlichkeitsbeteiligung_und_Auskuenfte/Publikationen/WohnungspolitischesKonzept_StadtLeipzig_BlaueReiheNr68_web.pdf, Seite 33) . Diese Gebote können Eigentümer verpflichten, bauliche Missstände zu beseitigen und Gebäude wieder nutzbar zu machen. Auf unsere Nachfrage erklärte die Stadt, dass solche Gebote bisher nicht angewendet wurden, da „die Anwendung mit hohen rechtlichen und finanziellen Hürden verbunden“ sei. Stattdessen setze man auf Anreize wie Wohnungsbauförderung und Beratung.
Gleichwohl die rechtlichen Hürden zur Ahndung von Leerstand hoch sind und der nicht-marktaktive Leerstand in den vergangenen Jahren gesunken ist, muss daran erinnert werden: Eigentum verpflichtet. Dem Leerstand von potenziellem Wohnraum in einer Stadt mit akutem Mangel an leistbarem Wohnraum und nicht-kommerziellen Treffpunkten muss konsequent begegnet werden – ob der Leerstand nun spekulativen Interessen dient oder an Willen oder Möglichkeiten des Eigentümers liegt.
Die Besetzer*innen legen auch diesmal den Finger in die Wunde, gerade weil die Wohnungslosigkeit in der Stadt steigt, Geflüchtete in Gemeinschaftsunterkünften festhängen und Menschen mit geringem Einkommen verzweifelt Wohnraum suchen.
Währenddessen steht die Polizei straff an der Seite des Eigentums. Alle Besetzungen wurden in rasanter Geschwindigkeit beendet – offenbar ohne dass zwingend Strafanträge der Eigentümer vorlagen.
Für die Lützner Str., die Julius-Krause-Str. und die Waldstraße wurden Strafanträge gestellt – möglicherweise erst nach dem polizeilichen Eingreifen, für die Einertstraße bis zur Beantwortung meiner Kleinen Anfrage nicht. Durchsuchungsbeschlüsse oder Räumungstitel gab es nicht.
(Antwort auf Kleine Anfragen: Teil 1 und Teil 2)
Die Rechtslage ist komplex.
Dass Räumungen eigentlich zivilrechtlich eingeklagt und vollstreckt werden müssten, wird bei politischen Hausbesetzungen oft durch polizei- und strafrechtliches Vorgehen überlagert.
Der Hausfriedensbruch nach § 123 Strafgesetzbuch ist ein Antragsdelikt. Eine Strafverfolgung setzt grundsätzlich einen Strafantrag des Eigentümers voraus.
In der Rückschau auf vergangene Besetzungen stellt sich das Vorgehen so dar: Im Fall der Ludwigstraße 2020 lag ein Strafantrag vor; zudem wurde ein Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts eingeholt, erst danach wurde das Haus von der Polizei geräumt (nach 10 Tagen erfolgreicher Besetzung). Bei der Räumung der Hermann-Liebmann-Straße 108 im September 2023 gab es ebenfalls einen Strafantrag, die Räumung erfolgte nach zwei Tagen; in Antwort auf meine Kleine Anfrage stützte sich die Polizei auf einen Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 13. Juli 2017 („Black-triangle-Urteil“ https://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&nr=80269&pos=0&anz=1), der eine Räumung auf polizeirechtlicher Grundlage ermöglicht – auch zur Feststellung der Identitäten der Besetzenden.
Die Rechtsanwältin Anna-Maria Müller weist darauf hin, dass „die Polizei den Schutz privater Rechte (etwa des Eigentums) nur übernehmen [darf], wenn gerichtlicher Schutz nicht rechtzeitig zu erlangen ist und ohne sofortiges Einschreiten die Durchsetzung des Rechts vereitelt oder wesentlich erschwert würde. In der Regel ist die Polizei daher NUR zunächst zur Identitätsfeststellung der Besetzer:innen berechtigt, um eine spätere (nach der Erlangung eines Vollstreckungstitels) zivilrechtliche Räumung zu ermöglichen.“
In den aktuellen Fällen laufen Ermittlungsverfahren wegen Hausfriedensbruchs nach § 123 StGB: gegen drei Personen im Fall der Lützner Straße 99, gegen Unbekannt im Fall der Waldstraße, gegen zwei Personen im Fall der Julius-Krause-Straße und gegen vier Personen im Fall der Einertstraße. Im letzteren Fall gab es keine erkennungsdienstlichen Maßnahmen der festgestellten Personen. Es bleibt abzuwarten, wie die Behörden hier ihr Vorgehen und eine etwaige Strafbarkeit begründen wollen, wenn der Eigentümer des Hauses nicht erreichbar ist.
Es muss festgehalten werden, dass die Polizei in Leipzig eine harte Linie gegen Hausbesetzungen fährt, die sich in den aktuellen Fällen nochmals verschärft hat. Die Leitlinie scheint – anders als 2020 und 2023 – zu sein, Besetzungen in kürzester Zeit zu räumen, unabhängig davon, ob die rechtlichen Voraussetzungen zweifelsfrei erfüllt sind. Offenkundig sollen Solidarisierungseffekte in der Stadtgesellschaft verhindert werden. Denn die stadtpolitischen Debatten der vergangenen Jahre waren durchaus von Verständnis dafür geprägt, dass Menschen leerstehende Räume zur Linderung der Wohnungsnot nutzbar machen wollen. Und das zu Recht. Die Ludwigstraße 71 und die Hermann-Liebmann-Straße 108 stehen bis heute leer. Damit gehen dringend benötigte Räume verloren, während der Grundsatz des Grundgesetzartikels 14 – dass Eigentum verpflichtet und dem Wohl der Allgemeinheit dienen soll – ins Gegenteil verkehrt wird.