Um den Arbeits- und Fachkräftemangel in Sachsen zu lindern, sollten zugewanderte Menschen schneller und zuverlässiger in Erwerbsarbeit gebracht werden, die ihrer jeweiligen Qualifikation entspricht. Um dies zu erleichtern und Hürden abzubauen, macht die Linksfraktion in einem neuen Landtags-Antrag zahlreiche direkt umsetzbare Vorschläge. Den Handlungsbedarf zeigen auch die Beispiele von Mario Chalhoub und Teréz Sallai, die heute in Dresden über ihr Ankommen auf dem sächsischen Arbeitsmarkt berichtet haben.
Mario Chalhoub, der 2020 aus dem Libanon nach Deutschland geflüchtet ist, erklärt:
„Ich habe im Libanon eine dreijährige Ausbildung zum Elektriker gemacht und jahrelang Berufserfahrung gesammelt. Einen Platz im Sprachkurs habe ich in Deutschland nicht gefunden, sondern ich lerne selbst – die Sprachprüfung kostet mich 250 Euro. Nur über persönliche Kontakte habe ich einen Job gefunden und arbeite seit Mai 2021 als Elektriker bei einer Zeitarbeitsfirma. Parallel absolviere eine Qualifikation über das IQ-Programm als Industrie-Elektriker. Meine Berufsanerkennung war schwierig: Die Probeprüfung bei der Handwerkskammer habe ich zwar ohne Vorbereitung direkt bestanden, doch ich muss Urlaub nehmen, um mich auf die praktische Prüfung vorzubereiten und die Prüfungsgebühr – eine hohe dreistellige Summe – selbst zahlen. Außerdem habe keinen sicheren Aufenthaltsstatus, sondern bin geduldet. Mein Ziel ist es, Ingenieur zu werden. Dafür arbeite ich jeden Tag, seitdem ich in Deutschland bin.“
Teréz Sallai kam 2014 aus Ungarn nach Deutschland. Sie sagt:
„Ich habe in Ungarn ein Studium um Bereich Soziale Arbeit absolviert und 13 Jahre Berufserfahrung als Sozialarbeiterin gesammelt. Selbst als EU-Bürgerin, die Zeugnisse in englischer Sprache von einer anerkannten Universität vorweisen kann, musste ich viel Bürokratie hinnehmen, um meine Berufskenntnisse anerkennen zu lassen. Der Prozess hat mich fünf Jahre sowie 1.600 Euro für Beglaubigungen, Studienbeiträge und Sprachkurse gekostet. Während dieser Zeit habe ich als Reinigungskraft gearbeitet und sehr wenig Geld verdient. Jetzt bin ich beim Christlichen Verein Junger Menschen (CVJM) als Sozialarbeiterin in Leipzig tätig – für diese Chance bin ich sehr dankbar.“
Die migrationspolitische Sprecherin der Linksfraktion, Juliane Nagel, schlussfolgert:
„Der Beschäftigungszuwachs in Sachsen wird vor allem von ausländischen Fachkräften getragen. Ihr Anteil an den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ist von 1,8 Prozent 2013 auf 8 Prozent 2023 gestiegen. Der Arbeitsmarkt ist vor allem bei gut ausgebildeten Fachkräften unterversorgt. Gleichzeitig leben hier viele Menschen, die nicht oder nicht qualifikationsadäquat arbeiten können. Sie sollen ihr Potential mit qualifizierter und gut bezahlter Arbeit nutzen können! Das bringt mehr als die teuren Anwerbeprogramme. Laut der Bundesagentur für Arbeit haben mehr als die Hälfte der befragten Unternehmen positive Erfahrungen mit der Beschäftigung von Geflüchteten gemacht. Es ist höchste Zeit für Sofortmaßnahmen. Wir wollen dafür sorgen, dass die Sprachkurse alle Betroffenen erreichen können und in ausreichender Zahl verfügbar sind. Dazu müssen Dauerstrukturen geschaffen und die Arbeitsbedingungen für die Lehrkräfte verbessert werden: Bisher sind sie oft von Scheinselbstständigkeit, geringer Entlohnung und hoher Belastung geprägt.
Die Verfahren zur Berufsanerkennung müssen einfacher und kürzer werden. Dazu wollen wir die Unternehmen zur Mithilfe verpflichten, wofür sie entschädigt werden sollen. Niemand soll unter seinen Möglichkeiten bleiben müssen! Bislang arbeitet jeder dritte Mensch ohne deutsche Staatsangehörigkeit in schlecht bezahlten Jobs in Logistik, Gastgewerbe und Leiharbeit. Alle Menschen, die das wollen, sollen eine höher qualifizierte Tätigkeit erreichen können. Daher sollten praktische Kenntnisse bei der Berufsanerkennung eine größere Rolle spielen. Beratung soll in den Verfahren zur Pflicht werden, die Kosten sollen übernommen werden. Die Ausländerbehörden sollen Möglichkeiten mit den Betroffenen suchen, statt sie in erster Linie loswerden zu wollen.“
Hintergrund: Vorschläge der Linksfraktion für bessere Arbeitsintegration
Reform der landes- und kommunalfinanzierten Sprachkurse
- Honorarabsicherung im Krankheitsfall; inflationsangepasste Mindeststundenhonorare von 71,70 Euro; hälftige Übernahme der Sozialversicherungsbeiträge für Lehrkräfte; Dynamisierung und Erhöhung der Trägerpauschalen
- langfristige Einführung eines Tarifvertrags mit unbefristeten Stellen für Lehrkräfte mit einer Obergrenze von nicht mehr als 25 Unterrichtseinheiten bei Vollzeit; inflationsangepasste Finanzierung der Träger; Absicherung der Lehrkräfte und Träger der Sprachkurse gegen die Folgen des Herrenberg-Urteils zur Scheinselbstständigkeit
- Ermöglichung einer Kinderbetreuung
- Verpflichtung aller Unternehmen, ihren ausländischen Beschäftigten die Teilnahme an Sprachkursen in der Arbeitszeit zu ermöglichen – dafür Bonuszahlung als Ausgleich
- Förderprogramm zur vollen Kostenübernahme für Sprachkurse inkl. Prüfungen
Bessere Berufs- und Qualifikationsanerkennung
- gesetzlicher Beratungsanspruch für Menschen, die ihre im Ausland erworbene Berufsqualifikation anerkennen lassen möchten, und Ausbau der Beratungsstellen
- Verpflichtung aller Unternehmen, ihren ausländischen Beschäftigten die Teilnahme an Kursen für die berufliche Anerkennung während der Arbeitszeit zu ermöglichen – dafür Bonuszahlung als Ausgleich
- Praktische Fähigkeiten von Menschen mit Migrationsgeschichte, die keine formalen Berufsabschlüsse besitzen, sollen regelmäßig, frühzeitig und flächendeckend überprüft und zertifiziert werden – siehe Modellprojekte „Praxischeck“ der Handwerkskammern Dresden und Leipzig sowie „myskills“ der Bundesagentur für Arbeit
- Förderprogramm zur vollen Kostenübernahme für die Verfahren zur Berufsanerkennung inkl. Prüfungen
Bürokratieabbau und Verfahrensbeschleunigung
- Veröffentlichung aller Erlasse und Anwendungshinweise zum Asyl- und Aufenthaltsrecht sowie zu Ausländer- und Asylangelegenheiten sowohl in deutscher als auch in Einfacher Sprache sowie in weiteren Fremdsprachen
- flächendeckender Aufbau von zentralen Anlaufstellen für alle Anliegen von Migrantinnen und Migranten als vom Freistaat finanzierte kommunale Pflichtaufgabe
- Bürokratieabbau bei Berufsanerkennungsverfahren, indem die Unterschiedsbescheide standardisiert sowie Zugangsvoraussetzungen vereinfacht und vereinheitlicht werden
Zusätzlich soll das ESF-Projekt verstetigt werden, das Menschen mit Migrationsgeschichte die Nachholung eines Schulabschlusses ermöglicht. Dazu soll der Freistaat alle Jugendberufshilfen und Produktionsschulen ohne Altersbeschränkung öffnen.
PM 31. Mai 2024