Die Linksfraktion hat die Situation der Geflüchteten, die in Belarus und Polen festhängen, zum Thema im Sächsischen Landtag gemacht. Hier mein erster Debattenbeitrag zum Nachsehen und -lesen:
Etwa 5000 Menschen sitzen derzeit im Grenzgebiet zwischen Belarus und Polen fest, Menschen, die zusammengepfercht in der Kälte ausharren um nach Europa zu gelangen, Menschen, die von Europas letztem Diktator in diese Lage manövriert wurden, Menschen, die aus Syrien, dem Irak Afghanistan oder dem Iran geflüchtet sind.
Menschen, die inzwischen als Waffe und Instrument der „hybriden Kriegsführung“ bezeichnet werden. Die Waffen allerdings rüstet die EU, rüstet Polen auf. 20.000 Sicherheitskräfte stehen im Grenzgebiet wenigen Tausend Menschen gegenüber. Was ein ungleicher Krieg, was ein absurder Vergleich!
Denn sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen: Es geht hier um Menschen, um fühlende Wesen, die derzeit, im Zeichen des nahenden Winters, leiden und erfrieren. Mindestens zehn Menschen sollen in den Wäldern zwischen Belarus und Polen und damit auf europäischem Boden bereits gestorben sein, gestern ein einjähriges Kind. Das ist schändlich.
Wir alle können uns sicher darauf einigen, dass das Vorgehen des Diktators Lukaschenko zu verurteilen ist. Wir scheiden uns an dem Punkt, wo die Verantwortung der Europäischen Union, die Verantwortung von uns beginnt. Wenn sich die EU mit ihrem Anspruch die Menschenrechte zu wahren und für Frieden, Versöhnung, Demokratie einzustehen, ernst nimmt, muss im Sinne dieser Menschen gehandelt werden. Sofort und ohne zu zögern.
Wir dürfen uns von einem unmenschlichen Regime nicht dazu bringen lassen, selbst die Menschenrechte zu verletzen. Auf Unrecht muss mit Recht geantwortet werden.
Doch was erleben wir? Illegale Pushbacks durch Polen, die nicht sanktioniert werden. Das Verwehren von Asylantragsstellungen, humanitärer Hilfe und Zugang zu gesundheitlicher Versorgung. Die Einschränkung von Pressefreiheit in der polnischen Sperrzone. Und: übelste Stimmungsmache durch politische Verantwortungsträger quer durch die EU. An deren Spitze will sich scheinbar der sächsische Ministerpräsident setzen.
Sie Herr Kretschmer werfen alle historischen Errungenschaften über Bord und propagieren neue Mauern und neue Zäune? Das widerspricht nicht nur dem Gründungsversprechen der EU, sondern auch der Erfahrung der Befreiung von Mauern und Grenzen von 1989. Die Forderung nach neuen Mauern ist anachronistisch, ist ein Schlag in das Gesicht von uns Ostdeutschen. Und mehr noch: Die Oder-Neiße-Grenze, die derzeit ebenfalls mit Abschottungs- und Kontrollphantasien bedacht wird, steht symbolisch für das Europa des „Nie wieder!“ und gegen den Faschismus. Das Handeln deutscher Politiker:innen muss diesem Grundsatz verpflichtet sein. Dass sich Faschisten – orchestriert durch die Grenzschutz-Rhetorik der AfD und Faschisten in Polen – heute als Bürgerwehren sowohl an der polnisch-deutschen als auch an der polnisch-belarusischen Grenze zu schaffen machen, muss uns Ansporn sein, anders zu handeln.
Und nein, Herr Kretschmer: Wir werden uns an die Bilder von schutzsuchenden, von frierenden, von notleidenden Menschen nicht gewöhnen. Wir werden uns an ihre menschenverachtende Rhetorik, wenn es um schutzsuchende Menschen geht, nicht gewöhnen! Sie treten mit ihren Worten in die Fußstapfen von Faschisten.
Ich sage an dieser Stelle klar: Wir werden nicht aufhören ideell und praktisch an einem humanistischen Gegenentwurf zu arbeiten.
Wir fordern hier an dieser Stelle einen humanitären Korridor für die notleidenden Menschen in Belarus und Polen, einen Korridor in die Europäische Union. Wir haben Platz in Sachsen, in Deutschland und erst recht in Europa.
Die aktuelle Krise im Osten Europas steht dabei paradigmatisch für das Scheitern der EU eine gemeinsame Asylpolitik auf den Weg zu bringen, die sich an den selbst gesetzten menschenrechtlichen Prämissen orientiert. Schauen wir doch nach Bosnien, schauen wir auf die griechischen Inseln und aufs Mittelmeer – Europa ist umringt von humanitären Katastrophen und schottet sich ab. Das ist der falsche Weg.
Ich garantiere ihnen, Zäune und Mauern werden Flucht und Migration über kurz oder lang nicht aufhalten. Wir müssen daran mitwirken immer wieder neue Katastrophen zu verhindern und Europa zu einem echten Raum der Menschenrechte machen: Wir brauchen sichere Fluchtwege – nach Europa, durch Europa.
Am Ende möchte ich Danke sagen: ihr und Sie, die den Humanismus, die die Menschenrechte trotz massiver Widerstände von höchster Ebene – hochgerüsteten Zäunen und Grenzschützern und menschenverachtender Rhetorik – hoch halten. In Sachsen, aber auch im polnischen Grenzgebiet.