Das Neue Deutschland hat mich zu den staatlichen Maßnahmen in der Corona-Krise interviewt. Es geht um Ausgangsbeschränkungen und die Frage ob es dazu auch Alternativen gibt, um linke Perspektiven und Opposition zu autoritären Wegen
Sachsen wählt in der Coronakrise striktere Maßnahmen als andere Bundesländer. Warum?
Sachen ist mit Bayern einen Sonderweg gegangen, der sich von den Empfehlungen des Bundes absetzt. Statt Kontaktverbote setzt man hier auf Ausgangsbeschränkungen. Diese greifen stärker in die Bewegungsfreiheit der Menschen ein. Vor einigen Tagen ist die Allgemeinverfügung zu einer Rechtsverordnung erweitert worden. Nun kann die Polizei Bußgelder verhängen, wenn gegen die Maßnahmen verstoßen wird. Damit ist der Willkür natürlich Tür und Tor geöffnet. Vorher war es ja so, dass Anzeigen geschrieben worden sind und die dann von der Staatsanwaltschaft geprüft werden mussten. Das halte ich auch für den besseren Weg.
Aber sie denken auch, dass man die Einhaltung der Maßnahmen in irgendeiner Form überprüfen muss?
Besser als mit einer Allgemeinverfügung oder einer Rechtsverordnung wäre es, an die Vernunft der Menschen zu appellieren. Was ich probieren würde, wäre ich in einer verantwortlichen Position: die Leute aufzuklären über die möglichen epidemiologischen Folgen von Sozialkontakten. Informieren, und eher auf restriktive Maßnahmen zu verzichten.
Und was ist mit denen, die die Gefahr immer noch nicht erst nehmen?
Ich glaube, in den Anfangszeiten der Pandemie in Deutschland gab es tatsächlich viel Unvernunft und Menschen, die die Gefahr verkannt haben. Aber das hat schnell abgenommen. Nach verschiedenen Ansprachen der Bundeskanzlerin und den Wissenschaftlern des Robert-Koch-Institutes ist die Zahl der Versammlungen bereits deutlich gesunken. Ich finde, die Regierung hätte gut daran getan, dass einfach noch ein wenig länger auszutesten und den Menschen die Chance zu geben, ihr Verhalten zu ändern.
Was steht denn im Bußgeldkatalog?
Im äußersten Fall, bei besonders schweren Verstößen, werden Bußgelder bis zu 25.000 Euro verhängt. Was damit gemeint ist, bleibt unklar, aber wahrscheinlich geht es hier um Coronapartys und Ähnliches. Für das Verlassen der Wohnung ohne triftigen Grund können 150 Euro verhängt werden. Ein Besuch im Krankenhaus oder Pflegeheim kostet 500 Euro. Seit Tagen berichten die Medien, dass es keine nennenswerten Verstöße gegen die Allgemeinverfügung gab. Da frage ich mich schon, warum man nun diese Bußgelder obendrauf packen muss.
Nun ist gerade ein Besuch in einem Pflegeheim, das haben die Toten in Wolfsburg gezeigt, doch wirklich unvernünftig. Ist da ein Bußgeld, um auch den letzten unvernünftigen die Botschaft klar zu machen, so abwegig?
Gerade wenn Menschen in solchen Sammelunterkünften, und ich zähle jetzt mal Pflegeheime dazu, leben, lässt sich ein Besuchsrecht auch anders regulieren. Und generell lassen sich Besuche möglich machen, die sicher sind. Mit Schutzausrüstung und an der freien Luft beispielsweise.
In linken Kreisen munkelt man, die CDU kann nun endlich lange Law-and-Order-Fantasien in die Tat umsetzen.
Das finde ich zu überspitzt. Wir leben in einer Situation, in der bestimmte Risiken unleugbar da sind. Man muss natürlich sehr wachsam sein, dass diese Maßnahmen nicht überstrapaziert werden.
Tut das die Polizei bisher?
Was ich in Leipzig bisher erlebe, auch in Connewitz, ist eher ein vorsichtiges Agieren der Polizei. Aber natürlich fallen bestimmte Menschen mehr ins Raster solcher polizeilicher Maßnahmen. Zum Beispiel Migranten oder Obdachlose. Für Wohnungslose gibt es auch keine Ausnahmeregelungen in der Rechtsverordnung der sächsischen Regierung.
Eine weitere Kritik ist, dass in dem Maßnahmenkatalog Dinge aufgezählt werden, zum Beispiel, dass bestimmte Aktivitäten nur noch mit den Lebenspartnern erlaubt sind oder man sich nur im Wohnumfeld bewegen soll. Die Begriffe sind aber nicht klar definiert. Wer ist mein Lebenspartner? Durch diese Willkür entscheidet am Ende die Polizei über solche Fragen.
Ist es nicht eine Zeit, in der alle ein wenig zusammenstehen sollten und man auch als Linker nicht in Opposition zu allen Maßnahmen der Regierung gehen sollte?
Es ist eine Zeit, in der man als Linker viel Gehör finden müsste. Politische Missstände, die wir seit Jahren anklagen, zeigen sich gerade besonders verdichtet. Die unhaltbaren Lebensumstände in Sammelunterkünfte für Flüchtlinge, die Obdachlosigkeit in unseren Innenstädten, der Mangel an Pflegerinnen, Mietprobleme.
Wir müssen nicht nur jetzt, sondern auch nach der Krise auf die Tube drücken, um in diesen Bereichen Verbesserungen anzuschieben. Unsere Forderungen, die in der Zeit der Krise in einem breiteren Diskurs angekommen sind, müssen wir als Linke über die Epidemie hinaus generalisieren. Man sieht gerade, zum Beispiel an den Mietstundungen, die natürlich lange noch nicht ausreichend sind, wie schnell politische Veränderungen möglich sind. Das ist eine Chance für linke Bewegungen. Wir müssen jetzt besonders laut und widerständig sein. Ich hätte mir gewünscht daher auch gewünscht, dass die Linke im Bund stärker die Einschränkungen von Grund – und Freiheitsrechten thematisiert hätte.
In Wahlumfragen profitiert vor allem die konservative CDU von der Krise.
Es ist eine große Angst in der Bevölkerung. Und dann hält man sich eben an Herrschenden fest und ist auch darauf zurückgeworfen, was die machen. Andererseits setzt die CDU gerade Dinge um, die man vor Kurzem noch nicht für möglich gehalten hat. In Sachsen sitzen wir nächste Woche im Landtag und ändern wahrscheinlich die Verfassung, um die Schwarze Null aufzuheben. Davon hätte man vor wenigen Wochen noch nicht träumen können.
Ist der Diskurs in der Linken, der vor allem auf die Kritik repressiven Maßnahmen abzielt, die nun umgesetzt werden, nicht auch ein wenig privilegiert? Verkennt das nicht die Gefahr des Virus für unser aller Leben?
Ich halte nicht so viel von einer solchen Position. Einer vernünftigen linken Position muss immer eingeschrieben sein, dass man wachsam ist, wenn individuelle und bürgerliche Rechte eingeschränkt werden. Auch in Krisenzeiten. Wir dürfen uns nicht einfach unter ein Krisenregime ordnen. Der Schutz der Bevölkerung und der Verzicht auf autoritäre Maßnahmen schließen sich nicht aus. Man muss natürlich aber auch anerkennen, dass es gerade Menschen gibt, die besonders gefährdet sind. Und dann sein Handeln individuell dieser Gefahr unterordnen.
Glänzen autoritäre Maßnahmen gerade in der Krise durch ihre Effektivität?
Wahrscheinlich, zumindest nach außen. Aber eine Gesellschaft ist kein Planspiel, in dem man alle Menschen wegsperren und überwachen kann. Mit solchen Maßnahmen hat man am Ende eine Untertanengesellschaft. Damit ist wenig gewonnen. Die Folgen wären eventuell schlimmere, als die gesundheitlichen.
Interview: Fabian Hillebrand, 03. April 202