Bereits im Juni 2018 legte die Linksfraktion im Sächsischen Landtag ihr Integrationsgesetz vor. Nach Beteiligungsveranstaltungen und einer Expert*innenanhörung im Innenausschuss stand das Gesetz am 2. Juli 2019 zur Debatte und Beschlussfassung im Landtagsplenum. Das Gesetz wurde abgelehnt, von CDU & AfD aus ideologischen Gründen, von der SPD aus Gründen des Koalitionszwangs. Hier ist meine Rede nachzulesen:
Anrede
Knapp 9000 Geflüchtete sind im Jahr 2018 nach Sachsen zugewiesen worden. Der gesamte Anteil von Menschen mit Migrationsgeschichte lag 2017 bei 7,2 % oder absolut 192 000 und damit weit unter dem Bundesdurchschnitt.
Während manche aufgrund dieser Zahlen jubeln mögen, möchte ich entgegenhalten: Diese Zahlen sind kein Ruhmesblatt und diese Zahlen haben eine Ursache.
In der vergangenen Plenarsitzung haben wir hier über die Attraktivität Sachsens für Fachkräfte diskutiert. Und wir wissen: Das Bild Sachsens ist auch über Grenzen hinaus kein Gutes: Neonazistrukturen und rassistische Ausbrüche prägen es seit ein paar Jahren zu Recht. Wenn wir hier nicht umsteuern, wird die beschworene Fachkräftezuwanderung aus dem Ausland ausbleiben. Aber es geht nicht nur um nützliche Arbeitskräfte.
Werfen wir einen Blick an die Grenzen der EU: Da harren Tausende, zehntausende in Hotspots unter schrecklichen Lebensbedingungen aus und Europa kann sich nicht über einen solidarischen Verteilmechanismus einigen. Da irren aus Seenot gerettete Menschen tage- ja wochenlang durchs Mittelmeer und die europäische Staatengemeinschaft bekommt es nicht auf die Reihe Aufnahmeselbstverpflichtungen für diese Menschen abzugeben. Das ist ein Notstand der Menschlichkeit! Und ich möchte explizit an dieser Stelle für meine Fraktion Solidarität mit der am Wochenende festgenommenen Kapitänin der Seawatch3 Carola Rackete erklären. Sie ist eine von den vielen Menschen, die entgegen dem Zeitgeist, für die Wahrung der Menschenrechte kämpfen!
Als LINKE haben wir einen glasklaren politischen Ansatz: Wir wollen den neu hinzukommenden Menschen einen gleichberechtigten Platz in dieser Gesellschaft einräumen, wir wollen ihnen Chancen geben hier ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Wir glauben nicht an das Regime von Grenzen, gerade in einer sich internationalisierenden Welt. Die Logik von Abschottung und Ausgrenzung ist nicht zukunftsfähig!
Das bedeutete aber auch, dass es politischer Instrumente bedarf um die Teilhabe von Menschen mit Migrationsgeschichte, seien es Geflüchtete, zum Studieren hier gekommen oder Fachkräfte, zu ermöglichen. Um Barrieren abzubauen und die Einwanderungsgesellschaft zu gestalten.
Mit dem hier vorliegenden Migrant*innenteilhabefördergesetz machen wir ihnen ein Angebot Integration in Sachsen einen verbindlichen Rahmen zu geben. Dies soll nicht „nur“ die weitestgehend gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe von Migrantinnen und Migranten fördern, es wäre ein Beitrag zur Förderung eines wirklich weltoffenen Landes Sachsen.
Wir treten mit unserem Vorschlag in die Fußstapfen von Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Berlin, die sich bereits entsprechende Landesgesetze gegeben haben.
Wir legen ihnen hier ein Vollgesetz vor, das Grundsätze für eine gelingende Integration formuliert und als Geltungsbereich einen sehr weiten Begriff von öffentlichen Stellen des Freistaates bis auf die kommunale Ebene festlegt.
Das heißt, dass alle diese Stellen, von Schulen, Hochschulen, Polizei bis hin zu den kommunalen Verwaltungen und auch Fördermittelempfängern die Verwirklichung der Zwecke, Ziele und Grundsätze dieses Gesetzes zu unterstützen haben Diskriminierung aktiv entgegen zu wirken haben.
Schwerpunkt unseres Gesetzesentwurfes ist einerseits die interkulturelle Öffnung der öffentlichen Stellen. Das heißt, dass Behörden, Stellen und Einrichtungen nach § 4 in ihrem Handeln aktiv auf die Bedürfnisse und Lebenslagen von Menschen mit Migrationsgeschichte eingehen und Barrieren aktiv abbauen sollen. Im Gesetz schreiben wir u.a. die Erhöhung des Anteils von Migrantinnen und Migranten im öffentlichen Dienst und die Förderung der interkulturellen Kompetenz der Bediensteten und Beschäftigten der öffentlichen und sonstigen Stellen fest. Hier hat das Land, hier haben aber auch die Kommunen einen dringlichen Nachholbedarf und dies nicht nur in den Ausländerbehörden.
Integration findet vor allem in den Kommunen statt und wird zum großen Teil durch Akteure der Zivilgesellschaft ermöglicht. Darum liegt ein weiterer Schwerpunkt unseres Gesetzes auch in der Schaffung von konkreten kommunalen Integrations-Strukturen und der Festschreibung der Förderung von Maßnahmen freier Träger, wie es bisher Teil 1 der Förderrichtlinie Integrative Maßnahmen leistet. Mit § 12 etablieren wir zudem so genannte Kommunale Integrationszentren, die in jedem Landkreis und jeder Kreisfreien Stadt geschaffen werden sollen. Vorbild dafür ist NRW, dort gibt es 53 dieser Zentren. In den KIZ sollen kommunale Integrationsbemühungen sowohl öffentlicher als auch zivilgesellschaftlicher Akteure gebündelt werden, ein Schwerpunkt liegt zudem auf der Entwicklung kommunaler Bildungslandschaften. In diesem Zusammenhang möchte ich unterstreichen, dass wir diese Zentren natürlich nicht als Ufos über das Land stülpen wollen. Die Ansätze, die aus dem Integrationsministerium in den letzten Jahren aufgebaut wurden, z.B. die Kommunalen Integrationskoordinator*innen, Sprachkurse oder die Servicestellen für Sprach- und Kulturmittlung können und sollen in die Zentren integriert werden.
Ein weiterer zentraler Punkt des Gesetzes ist die Schaffung von Strukturen für die politische Partizipation von Menschen mit Migrationsgeschichte. Ich bin selbst Mitglied des Migrantenbeirats in Leipzig und erlebe den Drang zur Beteiligung, der von der Verwaltung der Stadt nicht immer gern gesehen ist. Wir stehen zu unserem Vorschlag, für die Ebene der Landkreise, Kreisfreien Städte und Großen Kreisstädte festzuschreiben. Wo Migrant*innen leben und Teilhabe ein Thema ist, sollten diese Räte auch existieren. Was in Leipzig bereits Praxis ist, nämlich dass der Migrantenbeirat in der Stadtratssitzung ein eigenes Rede, Anhörungs- und Antragsrecht hat, wollen wir für ganz Sachsen verbindlich festschreiben. Drunter geht es nicht!
Weiterhin schaffen wir einen Sächsischen Migrationsrat, der sich aus Vertreter*innen verschiedener gesellschaftlicher Bereiche, mindestens fünf davon aus Migrant*innenselbstorganisationen, zusammensetzt.
Ein letztes weiteres Beispiel in diesem Bereich ist die von uns mit dem Gesetzesentwurf auf den Weg gebrachte Umwandlung des Ausländerbeauftragten zum Migrationsbeauftragten. Während sich die Migrationsrealität in Sachsen in den letzten Jahren stark verändert hat, datiert das Gesetz, nach dem der SAB arbeitet, auf 1994. Wir wollen an dieser Beauftragtenfunktion festhalten, denn sie hat eine andere Rolle als die einer Ministerin, wir wollen, dass Wirkungskreis auf alle in Sachsen lebenden Migrant*innen und deren gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe erweitert wird. Die Stellung des oder der Beauftragten soll gestärkt und die Besetzung des Amtes demokratisiert werden.
Last but not least: Das liebe Geld. Natürlich folgen wir dem Grundsatz, dass die kommunale Ebene alle zusätzlichen Aufwendungen, Kosten und Mehrbelastungen in voller Höhe erstattet bekommen soll. Zusätzlich dazu wollen wir mit dem Gesetz eine Integrationspauschale einführen. Jährlich sollen die Gemeinden, Städte und Landkreise in diesem Rahmen insgesamt 50 Millionen Euro zur Verfügung gestellt bekommen, um damit die auch für Integration notwendige Infrastruktur herzurichten oder neu zu schaffen.
Sehr geehrte Kolleg*innen und Kollegen, nehmen sie sich ein Herz und stimmen sie unserem Gesetz zu, damit _ wie der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration schreibt Sachsen „eine Vorreiterrolle zukommt“ und ein deutliches Zeichen gesetzt wird, auf die auch in Zukunft virulenten Fragen der Integration und gesellschaftlichen Teilhabe von Zuwanderern vorbereitet zu sein.“
>>> Gesetz zur Verbesserung der Teilhabe von Migrantinnen und Migranten sowie zur Regelung der Grundsätze und Ziele der Integration im Freistaat Sachsen (Sächsisches Migrant*innenteilhabefördergesetz – SächsMigrTeilhG)