Am 23. Februar 2019 war ich zum Festakt zum 10-jährigen Bestehen des Vereins „social projects for the gambia“ eingeladen. Ich sprach dort über Fluchtursachenbekämpfung, Entwicklungshilfe und das Recht auf Migration.
Sehr geehrter Anwesende,
ich freue mich außerordentlich über die Einladung zu ihrem Festakt zum 10-jährigen Bestehen des Vereins „social projects for the gambia“. Das Feld, was sie mit ihrem praktischen Engagement bearbeiten, ist ein hochpolitisches. Und ich möchte aus einer politischen Perspektive darauf blicken.
Fast 70 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht – mehr als die Hälfte davon sind Kinder und Jugendliche. Im Schnitt wird alle zwei Sekunden jemand auf der Welt zur Flucht gezwungen. Die Menschen fliehen vor gewaltsamen Konflikten, vor Verfolgung, und ja auch vor Umweltkatastrophen und massiver Armut und Perspektivlosigkeit.
Die Zahlen widerlegen in der Tiefe aber auch die Wahrnehmung, dass vor allem die Staaten des globalen Norden von einer Zunahme flüchtender Menschen betroffen sind. 85 Prozent der Flüchtlinge lebten in Entwicklungsländern mit niedrigem oder mittlerem Einkommen, fliehen in ihren Ländern oder in Nachbarstaaten.
Viel wurde in den vergangenen Jahren über Flucht gesprochen und wir erleben und erlebten sie auch in Sachsen und hier in Leipzig quasi am eigenen Leib. Viele Menschen, aus Syrien, aus dem Irak, aus Eritrea, Somalia, aber auch aus europäischen Staaten sind hier angekommen und haben Schutz erbeten, der ihnen nach internationalem Recht nicht nur gewährt werden soll, sondern muss. Und auch Gambia war darunter: Gemessen an der geringen Einwohnerzahl des Landes, war und ist die Zahl derer, die den Weg nach Europa suchen, groß. Und ja: Der Weggang vor allem junger Menschen blutet die betroffenen Länder aus. Andererseits dürfen wir nicht vergessen: Niemand verlässt die Heimat ohne Grund.
Viel zu wenig fiel der Blick in den letzten Jahren auf die Situation in den Herkunftsländern, auf die Gründe, die Menschen zur Flucht treiben. Da finden wir oftmals Kriegszustände, Militärdiktaturen, zerfallene Staaten, die von Warlords und religiösen Fanatikern terrorisiert werden. Oft fallen der westlichen Welt allein kriegerische Mittel ein, um die Verhältnisse vor Ort zu befrieden. Afghanistan oder der Irak zeigen eindrücklich, dass diese Strategie nicht nur unzählige Menschenleben fordert, sondern auch nicht aufgeht.
Und nicht nur militärische Interventionen konterkarieren den selbst proklamierten Anspruch Fluchtursachen zu bekämpfen: Klimaschädigung durch die Industrieländer, Raubbau an natürlichen Lebensgrundlagen, aber auch deren wirtschaftliches Gebahren sind hier zu nennen. Wenn EU-Bauern mit Milliardenbeträgen subventioniert werden, damit sie billiger und im Überschuss produzieren können und dieser Überschuss dann nach Afrika exportiert wird, werden die Bauern dort ruiniert. Die EU-Geberländer zerstören mit ihrer Agrarpolitik also das, was sie entwicklungspolitisch mühsam aufzubauen versuchen und erhöhen damit den Migrationsdruck, den sie eigentlich verringern wollen. Absurd!
Die so genannte Strategie der Fluchtursachenbekämpfung Deutschlands und der EU besteht in jüngster Zeit vor allem in Migrationsabwehr. Dabei schrecken die westlichen Staaten auch nicht vor Abkommen mit Diktatoren zurück. Die afrikanischen Staaten sollen ihre Bürger daran hindern, nach Europa zu kommen. Dafür verspricht die EU ihnen Militär- und Wirtschaftshilfe in Milliardenhöhe, liefert Technik, Material und Knowhow für ein strengeres Grenzregime. Die Folgen sehen wir unter anderem in Lybien, einem zerfallenen Staat, wo Flüchtende, die ihren Weg nach Europa suchen in Lagern interniert und gefoltert werden.
Diese Aufrüstungsmaßnahmen werden mit finanziellen Zuwendungen belohnt, die vielerorts allerdings entweder auf Regierungsebene versacken oder nicht nachhaltig sind. „Weisse Elephanten“ werden die Ruinen der Entwicklungshilfe genannt, brach liegende Brunnen, verfallende Rohbauten, das ist auch in Gambia zu sehen.
Sehr geehrte Damen und Herren, ich finde das ist die falsche Strategie. Sie ist von Gewalt und Aufrüstung geprägt und stärkt die Abhängigkeit der armen Staaten von den starken Industrieländern.
Diese haben natürlich Verantwortung, schon aufgrund der brutalen Kolonialgeschichte, aber die Abhängigkeit der armen Länder zu stärken, ist der falsche weg.
Wichtig wäre es die Verhältnisse in den betroffenen Staaten des globalen Südens nachhaltig zu stabilisieren, so dass Menschen nicht gezwungen werden ihre Heimat zu verlassen. Die Menschen vor Ort dabei zu unterstützen ihre Geschicke selbst in die Hand zu nehmen, sich zu bilden, Dinge zu schaffen, lokale und regionale Wirtschaftskreisläufe aufzubauen und an den globalen Entwicklungen teilhaben zu können.
Und genau diese Arbeit leistet seit nunmehr 20 Jahren ihr Verein, social projects for the gambia.
Mit Begeisterung habe ich mir die Bilder angeschaut, die Geschichte der Unterstützung, die sie, sehr verehrte Damen und Herren leisten. Zwei Schulen, die Ausbildung und Qualifizierung von Lehrpersonal, der Bau von Brunnen, die Installation von Solartechnik, das Anlegen von Schulgärten, Spielplätzen, und nicht zu vergessen: Die medizinische Versorgung – das ist das Fundament, das es verdient hat Fluchtursachenbekämpfung genannt zu werden. In einem Land, das eines der ärmsten der Welt ist. Einem Land, in dem es 45 % Analphabetinnen und Analphabeten gibt. Und ihre Partner*innen vor Ort, und die zahlreichen Kinder, denen sie überhaupt erst Zugang zu Bildung verschafft haben, danke es ihnen zurecht.
Das Herausragende ist: sie tun das ohne Millionen staatlicher Zuwendung, sondern aus eigener Kraft, mit dem Engagement der Mitglieder und Unterstützerinnen und Unterstützer. Und das verdient Respekt, Bewunderung und Honorierung! Sie und viele andere zivilgesellschaftliche Vereine und Organisationen leisten die Arbeit der Regierungen der reichen Staaten dieser Welt.
Sie wissen es sicher besser als ich: Deutschland hat die staatliche bilaterale Entwicklungszusammenarbeit mit Gambia 1995 aufgrund der Menschenrechtslage und autokratischen Regierungsführung eingestellt. Nun gab es einen politischen Paradigmenwechsel, seit gut zwei Jahren ist eine demokratische Regierung im Amt. Dies weckt Hoffnung und bringt auch langsam Hilfsorganisationen und Hilfsprogramme zurück ins Land.
Nun ist es um so wichtiger die Arbeit zu stärken, die langfristig angelegt ist, die Menschen vor Ort in den Blick und in Verantwortung nimmt und deren Eigeninitiative stärkt. Das kurzfristige Ausschütten von Geldbeträgen oder Geschenken aus dem Westen wird genau so verpuffen, wie ähnliche Entwicklungshilfeinitiativen der Vorjahre.
Schließen will ich mit den Worten des gambischen Journalisten Saikou Suwareh Jabai: Er schrieb vor ein paar Monaten in der Taz über die Flucht seiner Brüder und zahlreicher junger Menschen aus Gambia. Er spricht mir aus dem Herzen, wenn er einerseits für das Recht auf Bewegungsfreiheit, auf Migration plädiert, auf der anderen Seite aber einfordert, dass niemand fliehen muss.
„Migration ist so alt wie die Menschheit. Es wird Zeit, dass wir die Schuld daran teilen und auch den Gewinn. Für Gambia heißt das: Jobs schaffen und die Löhne so erhöhen, dass die, die einen haben, davon anständig leben können. Für meine Kinder wünsche ich mir, dass sie auf legalem Wege und mit regulären Dokumenten die Welt bereisen können. Auch ich selbst würde gerne einmal Europa kennenlernen. Aber nicht auf dem „Backway“ (als dem Weg durch die Hintertür nach Europa) , sondern als ein Afrikaner, der in Würde einreisen darf.“
In diesem Sinne wünsche ich ihnen viel Kraft, Unterstützung und auch Freude, für die bestehenden Projekte und auch neuen Ideen. Und darauf, dass der Mangobaum in TambaKunda weiter gedeiht!