Viel diskutiert und kritisiert: Die Sperrstunde für Gaststätten und öffentliche Vergnügungsstätten. Nach der Gängelung des Institut für Zukunft formierte sich eine gesellschaftliche Bewegung gegen dieses mittelalterliche Relikt. Meine Rede im Stadtrat zum gemeinsamen Antrag von LINKE, SPD und Grünen
Heute sprechen wir mit der Sperrstunde über ein Relikt, das mit Fug und Recht als als mittelalterlich bezeichnet werden muss. Und das im wahrsten Sinne des Wortes:
Ab den Spätmittelalter hatte die so genannte Sperrstunde als staatlich verordnetes Schließen von Wirtshäusern und Geschäften tatsächlich das Ziel die Städte „herunterzufahren“, die Menschen nach Hause zu treiben und die Ruhe zu überwachen. Später wurden auch gesundheitspolitische Ziele mit der Sperrstunde verknüpft – gegen das aufkommende Trinken bis ins Koma wurden Ausschankstopps verhängt, bekannt aus den britischen Pubs bis Anfang der 2000er Jahre. All dies ging aber mehr oder weniger nach hinten los. Und wir wissen auch, dass es inzwischen einen Paradigmenwechsel in Bezug auf die Eingriffsbefugnisse des Staates in die Privatsphäre seiner Bürger*innen gibt.
Die Sperrstunde hat in unseren Zeiten, wo das Feiern oft erst nach Mitternacht beginnt und bis in die frühen Morgenstunden reicht, wo sich Arbeitszeiten und Lebensrhythmen verschieben, ihre Funktion vollends verloren. Auch wenn sie aufs Minimale reduziert ist.
Wir sind der Meinung, dass es ist nur folgerichtig ist, sich überflüssigen, gängelnden Relikten zu entledigen. Zumal das Gaststättengesetz des Bundes schon längst keine Verhängung von Sperrstunden mehr verlangt bzw. die Gesetzgebungskompetenz für das Gaststättenrecht mit der Förderalismusreform auf die Länder übergegangen ist. Das sächsische Gaststättengesetz wiederum lässt die komplette Aufhebung der Sperrzeit durch die Kommunen zu.
Der Anlass des gemeinsamen Antrages von Grünen, Linker und SPD ist hinlänglich bekannt. Im Juni letzten Jahres bekam das Institut für Zukunft, ein renommierter Club in der Leipziger Südvorstadt, die postalische Aufforderung durch das Leipziger Ordnungsamt, dass von nun an die Sperrstunde einzuhalten sei. Hieße in der Konsequenz zwischen 5 und 6 Uhr: Licht an, Musik aus, Gäste raus.
Dass kein Gast sich eine Stunde auf die Straße stellt und nach 6 wieder einkehrt und weiterfeiert, das kann sich jeder klar denkende Mensch vorstellen. Dass zwischen 5 und 6 ein Peak bei elektronischen Musikveranstaltungen sein dürfte, wie sie im IfZ stattfinden, dürfte ebenfalls hinlänglich bekannt sein. Die, die sich damit berufsmässig befassen müssen, die MitarbeiterInnen der zuständigen Sicherheitsbehörde im Ordnungsamt wissen davon aber augenscheinlich nichts und haben mit ihrem Schreiben an das IfZ dessen wirtschaftliches Aus in Kauf genommen.
Hintergrund der Gängelung des IfZ – das wissen wir – waren angebliche Beschwerden von AnwohnerInnen, die nach näheren Untersuchungen des Ordnungsamtes nicht qualifiziert oder annähernd sinnvoll quantifiziert werden konnten.
Der Fall des IfZ ist in diesem Sinne nicht nur der entscheidende Stein des Anstoßes die Sperrstunde in Leipzig ad acta zu legen, sondern könnte auch als Anlass dafür genommen werden den MitarbeiterInnen des für Gewerbe zuständigen Sicherheitsamtes Weiterbildungen zum fairen und rechtskonformen Umgang mit Gewerbetreibenden und zum Thema zeitgenössische Partykultur nahe zu legen.
Lassen sie mich an dieser Stelle auch noch einmal beleuchten wie widersprüchlich die Stadtverwaltung mit dem Thema Sperrstunde umgegangen ist.
An den verschiedensten Stellen warb die Stadt Leipzig in den letzten Jahren damit die Sperrstunde nicht mehr anzuwenden. Zum Beispiel in der Imagebroschüre „Leipzig lohnt sich“ oder im Wirtschaftsbericht 2016, 2015 und 2014. 2002 warb Ex-OBM Tiefensee im Zuge der Olympia-Bewerbung der Stadt Leipzig, dass in Leipzig die Sperrstunde nicht gelte.
Der in zahlreichen Publikationen verwendete Satz „Und das Beste: Das junge Leipziger Nachtleben kennt keine Sperrstunde.“ fand sich bis Juni 2017 auch auf der Tourismus- und Gastgewerbe-Seite der Stadt Leipzig, wurde aber ganz offensichtlich vor dem Hintergrund der Debatte um das IfZ getilgt.
Aufgrund der medial beachteten Gängelei des Institut für Zukunft kassierte die Stadtverwaltung also wirtschaftsfreundliche Aussagen, mit denen sie sich über Jahre hinweg schmückte. Zum Anlocken von Investorinnen und Investoren und Touristinnen und Touristen soll die Bürokratie also niedrig gehalten werden, nicht aber für die Menschen, die das Nachtleben dieser Stadt mit anspruchsvollen, vielfältigen und lebendigen Kultur- und Partyangeboten bereichern? Mit Verlaub: Das ist rückgratlos und ist eine falsche Prioritätensetzung.
So oder so: Es ist gut, dass die Debatte um die Sperrstunde heute geführt wird und dass wir ihr Ende heute zumindest einleiten. Zirka 8000 Menschen unterschrieben in Reaktion auf die Provinzposse um das IfZ eine Petition für das Ende der Sperrstunde, die Debatte heute wird von Akteuren der betroffenen Szenen verfolgt und hier im Rat ist wohl eine Mehrheit für das Anliegen zu erwarten. Wir erwarten von der Verwaltung ein zügiges, partizipatives und engagiertes Arbeiten an der entsprechenden Rechtsverordnung.