Am 17. Februar demonstrierten fast 150 Menschen in Schnellroda gegen die Winterakademie des Instituts für Staatspolitik. Ein antifaschistisches Bündnis hatte bereits zum dritten Mal dazu aufgerufen, dieses Stelldichein von Faschist*innen nicht ungestört über die Bühne gehen zu lassen.
Auch ich habe diesmal wieder einen Redebeitrag gehalten, den ich hier dokumentiere. Er dreht sich um Enttabuisierung und Diskursverschiebung nach rechts.
Im Dezember letzten Jahres wurden im Sächsischen Landtag die Wahlmänner und Frauen für die Bundesversammlung zur Wahl des Bundespräsidenten bestimmt. Die AfD bekam eine Stimme mehr als sie Fraktionsmitglieder hat. Gleiches wiederholte sich bei der Wahl des Bundespräsidenten am vergangenen Sonntag, der Kandidat der AfD erhielt sieben mehr als die Partei wahlberechtigte Mitglieder hatte.
Nun dürfen diese Erscheinungen nicht überbewertet, aber doch ernst genommen werden. Sie werden uns öfter ereilen und zeigen, dass die AfD Sympathien auch von politischen MitbewerberInnen erringen kann. Noch werden die, die sich hinterm Rücken der protofaschistischen Partei hingeben, dies nicht unbedingt laut sagen. Doch werden auf der konservativen Seite der CDU bereits Stimmen für eine Kooperation laut, so zum Beispiel aus Sachsen vom Leipziger Europaabgeordneten und Chef des Sächsischen Fussballverbands Herrmann Winkler. Auch Überläufer von der CDU zur AfD gibt es zuhauf. Erst vorgestern bekundete der ehemalige sächsische CDU Finanzminister Metz seinen Austritt aus der CDU, Berührungsängste mit AfD oder Pegida habe er, dessen Sohn Vize-Bundesgeschäftsführer der AfD war, nicht.
Diese Vorgänge sind die Spitze eines Eisberges der Diskursverschiebung nach rechts. Wir leben in einer Zeit der permanenten Enttabuisierung und Radikalisierung. Die Speerspitze dessen ist die Alternative für Deutschland. Die maßgeblichen Ideengeberinnen sitzen unter anderem hier in Schnellroda.
In dieser Woche machte eine Kleine Anfrage des sächsischen AfD-Landtagsabgeordneten Andre Wendt die Runde. Er fragt darin nach Leistungen, die jungen Geflüchteten, die ohne Eltern nach Deutschland kommen, für Sterilisation zustehen, sprich wie viel es kostet unbegleitete minderjährige Geflüchtete zu sterilisieren. Das Kernproblem der Anfrage und er Antwort des Sächsischen Sozialministeriums auf diese – dass es in Deutschland nämlich verboten ist, Minderjährige zu sterilisieren, wurde im Chor der der allgemeinen Empörung nicht thematisiert, weder von den Medien, noch von dem antwortenden Sozialministerium.
Uneindeutiger, aber viel weniger skandalisiert wurde allerdings eine andere Wortmeldung der sächsischen AfD-Landtagsfraktion. „Chemische Kastration für verurteilte, Sexual-Mehrfachstraftäter!“ lautete eine Forderung von Uwe Wurlitzer, der rechten Hand von Frauke Petry in Sachsen, Ende letzten Jahres. Als Beispiele dienten ihm ausschließlich von männlichen Migranten verübte mutmaßliche Straftaten gegen Frauen.
Die Äußerungen der AfD sind nicht zufällig oder naiv, sie nehmen das auf, was aus den Reihen der neuen Rechten nicht erst in diesen Tagen zum politischen Programm gemacht wird. Akif Pirincci idealisiert die Praxis aus seiner „Heimat, wo fremde Männerhorden, die Frauen belästigen an ihren Eiern an der nächsten Straßenlaterne aufgehängt werden“.
Und so hört es sich in einem Beitrag bei Sezession zu den Übergriffen in Köln zu Silvester 2015/16 an: „Staat und Politik werden jetzt eindeutig Farbe bekennen müssen, ob sie noch dazu bereit sind, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden und den Rechtsstaat wiederherzustellen.Sollte man statt dessen die eigenen Bürger weiterhin Demütigung, Gewalt und einer ungewissen Zukunft ausliefern, dann dürfte sich nicht nur für viele Diener dieses Staates bald die Gewissensfrage stellen.“
Aufruf zu Selbstjustiz, zum Aufstand und zu menschenrechtswidrigem Handeln – das ist die gemeinsame Klammer zwischen neuer Rechter und ihrem parlamentarischen Arm.
Und so mancher CDU-Protagonist spendet für solche Aussagen, die nach der besagten Silvesternacht in Köln längst keine Tabubrüche mehr zu sein scheinen, Applaus. Der sächsische CDU-Abgeordnete Frank Hirche twitterte im Herbst 2015 zu einem geständigen Kindsmörder: „Der Mann sollte an die Wand gestellt werden, Leider geht das ja nicht, was ich im übrigen sehr bedauere.“
Der Weg von einer fragilen zu einer enthemmten Mitte scheint vollzogen.
Das zeigt nicht zuletzt die Rede von Björn Höcke und dem Richter Jens Maier im Januar in Dresden. Von Schuldkult und dem Berliner Holocaustmahnmal als Denkmal der Schande, von „Mischvölkern“, die geschaffen würden, um „die nationalen Identitäten auszulöschen schwandronierten die beiden Herren unter tosendem Applaus des Auditoriums.
Von Höcke sind das sind keine neuen Ideen. Vor kurzem wies David Begrich vom Miteinander e.V. darauf hin,dass die Dresdner Rede Höckes in der Kontinuität seines völkischen Denkens steht. Und Höcke radikalisiert seine bisherigen Aussagen weiter, auch darauf weißt Begrich zurecht hin. Die Rede zeige, dass Höcke vor allem geschichtspolitisch inzwischen neonazistische Positionen übernommen hat.
Die Rahmung des besagten Auftritts am 17. Januar im Ballhaus Watzke in Dresden zeigt nochmal sehr deutlich jene neurechten Netzwerke: Götz Kubitschek begleitete Höcke an diesem Abend. Pegida hatte Höcke zu Ehren ihren Aufmarsch ausfallen lassen und organisierte im Ballhaus Watzke den Saalschutz. Jürgen Elsässers rechtes „Compact“-Magazin übertrug die Veranstaltung auf seinem Youtube-Kanal live. Im Saal befanden sich auch CDU-Überläufer.
Die Reden waren eine Verdichtung von gezielten Tabubrüchen, die dazu führten dass Höcke in den darauf folgenden Tagen die Titelseiten quasi jeder deutschen Tageszeitung schmückte und diese Debatte auch den Auschwitzgedenktag am 27. Januar überschattete.
Die Reaktionen aus der AfD waren bilderbuchhaft: Distanzierung und Zurückpfeifen aus Petrys Ecke, Rückendeckung von Gauland, Meuthen und Co. Zunächst wurde ein Ausschlussantrag im Bundesvorstand abgelehnt. Der Richter Jens Maier wurde sogar kurz danach bei der Wahlversammlung der sächsischen AfD auf Platz 2 der Bundestagswahlliste gewählt. Mit einem ähnlichen starken Ergebnis wie seine größte Kritikerin Frauke Petry.
Man sollte hier nicht vergessen: Frauke Petry hat vor nicht allzu langer Zeit die AfD an den Rand der Spaltung gebracht, als sie von Sachsen aus in der Partei den Aufstand von Rechts gegen den ehemaligen Vorsitzenden Lucke probte. Dass sie nun wiederum von einem noch rechteren Flügel innerhalb der Partei bedroht wird, macht sie nicht zur Anführerin des „gemäßigten“ Teils der AfD. Aber im öffentlichen Diskurs scheint momentan eben alles relativ. Der ehemalige rechte Schrittmacher innerhalb der ostdeutschen AfD, die „Patriotische Plattform“, hat bei der rasenden Entwicklung der Partei nach ganz rechts außen offenbar nicht Schritt halten können. Die Gründung einer „noch Patriotischeren Plattform“ klingt wie ein Monty-Python-Witz, ist aber mit der „Freiheitlich Patriotischen Alternative“ soeben Realität geworden. Nun fällt möglicherweise eines der letzten Tabus innerhalb der AfD: Die Kooperation mit ganz offen neonationalsozialistischen Gruppen. Einzelne Mitglieder der neuesten „Alternative“ pflegen Kontakte zur Nazigruppe „Thügida“ – natürlich haben sich inzwischen allerlei Funktionsträger der AfD distanziert. Halbwertszeit und Haltbarkeit solcher Distanzierungen sind erfahrungsgemäß eher gering.
Ob Machtgerangel oder in Szene gesetztes Schauspiel: die Saat der RechtspopulistInnen und Rechtspopulisten geht auf. Mit verschiedenen ProtagonistInnen und Zungenschlägen wird versucht ein Klientel von gesetzt konservativ bis hin zur extremen Rechten einzusammeln. Und nüchtern betrachtet hat Höcke sich mit seiner Strategie der gezielten Tabubrüche sogar an die Linie der Parteiführung gehalten. Der AfD Bundesvorstand hatte im Dezember in ein Papier verabschiedet, laut dem man die anderen Parteien mit „sorgfältig geplanten Provokationen zu nervösen und unfairen Reaktionen“ verleiten wolle. Je mehr die AfD von ihnen stigmatisiert werde, „desto positiver ist das für das Profil der Partei“, heißt es in dem Papier.
Auch Götz Kubitschek kommentiert Rede und Debatte als quasi Testballon „um zu zeigen, wo die erinnerungs- und geschichtspolitische Deutungsmacht eines unter Druck geratenen politisch-medialen Komplexes ihre Risse bekommen hat oder bekommen wird.“
Doch nun zum Schluss. Wir dürfen uns angesichts des derzeitigen Zustands dieser Gesellschaft nicht klein machen lassen. Wir müssen die Gewöhnung an offen ausgesprochene rechten Logiken durchbrechen.. Nur so können wir auch den daraus folgenden Überbietungswettbewerb, den die Parteien von rechts bis nach links zum Beispiel in der Asylfrage oder in Sachen Sicherheitspolitik angetreten haben, stoppen. Nur so können wir dem rechten Kulturkampf begegnen.
Aktionen wie die heute sind mutig, richtig und wichtig. Solidarisch miteinander zu stehen, Rassismus, Nationalismus, Sozialdarwinismus, Sexismus und Homophobie und Geschichtsrevisionismus klar zu widersprechen und für eine offene und solidarische Gesellschaft zu kämpfen – das ist unsere Aufgabe gerade in diesen Zeiten!
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