Am 18. Februar 2016 blockierten etwa 100 Rassist*innen über Stunden einen Gebäudeblock im mittelsächsischen Clausnitz, in dem Geflüchtete untergebracht werden sollten.
Die anwesenden Polizeibeamten verwiesen nicht etwa die rassistischen Störer*innen des Ortes, sondern zwangen die Geflüchteten, den Bus zu verlassen und die Unterkunft zu beziehen. Dabei wendeten die Beamten auch Gewalt gegen drei Geflüchtete an. Ein AugenzeugInnen-Video zeigt die unerträgliche Situation und sorgte für große öffentliche Empörung. [1]
Im Nachgang wurden in der Öffentlichkeit verschiedene Aspekte herausgestellt: Der in der Presse als Heimleiter bezeichnete Hausmeister, angestellt bei der landkreiseigenen Firma GSQ, die die als Asylunterbringung genutzten Wohnungen verwaltet – Thomas H. ist AfD-Mitglied. Einer seiner Brüder war (Mit-)Organisator des rassistischen Protests. Die Stimmung im Ort wie die gesellschaftliche Stimmung in ganz Sachsen wurden thematisiert.
Auch der sächsische Landtag beschäftigte sich mit Clausnitz. In einer Sonderlandtagssitzung am 29. Februar ging es vor allem um das gesellschaftliche Klima in Sachsen. Dem vorausgegangen war eine von der LINKEN beantragte Sondersitzung des Innenausschusses, in der der Landespolizeipräsident Jürgen Georgie, der Innenminister und in einer Nachfolgesitzung auch der Landrat des Landkreises Mittelsachsen Matthias Damm Rede und Antwort standen.
In erster Linie ging und geht es in allerhand kleinen Anfragen um den Polizeieinsatz. Anlass dafür lieferte auch der Präsident der Polizei Chemnitz Uwe Reißmann, der in einer Pressekonferenz den Polizeieinsatz rechtfertigte und überhaupt nicht den Eindruck hinterließ, als ob er Kritik am Einsatz zulasse oder gar selbst übe. Vielmehr rückte er die Geflüchteten im Bus als Täter*innen ins Visier. [2].
Die Antworten auf die Kleinen Anfragen nun ergeben das übliche, sächsische Bild: Im Rahmen des notwendigen beantwortet zwar das Innenministerium die Anfragen, doch detailliertere Nachfragen nach konkreten Verantwortlichkeiten und Ereignisabläufen werden mit Verweis auf andere Anfragen gekonnt ignoriert, bzw. als schon beantwortet abgetan.
Folgende Fragen erscheinen mir wichtig, sind aber immer noch ungeklärt:
1.) Die Anmeldung der Kundgebung
Zur Kundgebung gibt es widersprüchliche Angaben. In der Presseberichterstattung nach den Ereignissen war die Rede davon, dass ein Bruder des Heimleiters/Hausmeisters Thomas Hetze die rassistische Kundgebung mitorganisiert haben soll. Und obwohl die Polizei bei mehreren Personen Identitätsfeststellungen durchführte, ermittelte sie im Fall des Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz gegen Unbekannt. Auch wurde kolportiert, dass die Polizei zu Beginn der Ereignisse Platzverweise aussprach gegen die Teilnehmer der nichtangemeldeten Kundgebung. Diese Platzverweise wurden allerdings nie durchgesetzt. Nun berufen sich die Ermittlungsbehörden wiederum darauf, dass die Polizei diesen Platzverweis nicht durchgesetzt habe – denn wenn niemand Widerstand leistet gegen die Durchsetzung des Platzverweises, hat auch niemand gegen den Platzverweis verstoßen. Klingt absurd, läuft aber in Sachsen.
2.) Auf welcher Grundlage wendete die Polizei Gewalt gegen drei Geflüchtete im Bus an?
Das Innenministerium verweist auf die Paragraphen §61 i.V.m. §§30 ff. des Polizeigesetzes Sachsens (SächsPolG) als auch auf den Paragraphen §32 i.V.m. ff. SächsPolG (Störungsbeseitigung). Dazu komme noch die Gefahrenabwehr. [3]
Kurz: Die Unterbringung der Geflüchteten ist Sache des Landkreises. Der Landkreis zieht im Rahmen der Vollzugshilfe die Polizei hinzu, wenn nötig. Und die Polizei entscheidet dann vor Ort, wenn anwesend auch gemeinsam mit Behördenvertretern, wie die Situation am besten zu bewältigen ist.
Sukzessive rückten die Geflüchteten, konkret ein 15-jähriger Junge, in den Fokus. Dieser habe aus dem Bus provoziert und sei deshalb als „Störer“ zu werten. Nachdem er den Aufforderungen den Bus zu verlassen nicht nachgekommen sei, sei „unmittelbarer Zwang“ eingesetzt worden, allerdings nicht im Rahmen der Vollzugshilfe, sondern der „Störerbeseitigung“. Dies betrifft nicht den Umgang mit zwei Frauen, die den Bus ebenfalls nicht verlassen wollten. Dies sei im Rahmen der „Vollzugshilfe“ geschehen. Das bedeutet unter anderem, dass sich im Fall des Jungen weiterhin die Polizei verantworten muss und nicht der Landkreis.
So schwammig, wie es klingt, wird das in Sachsen gehandhabt. So erklären die Behörden zwar, warum sie die Leute aus dem Bus holen durften. Aber sie erklären eben nicht, wie die Verantwortlichen auf die Idee kamen, „unmittelbaren Zwang“ (also Gewalt) gegen die Leute im Bus anzuwenden, anstatt gegen die rassistische Meute vorzugehen. Zum Zeitpunkt der Räumung des Busses waren etwa 25 Beamte vor Ort. Der Rassistenmob bestand aus etwa 100 Personen. Es gibt bisher keine sinnvolle Erklärung, warum es 25 Polizist_innen nicht gelingen soll, 100 Leute in Schach zu halten.
3.) Die Aufforderung, den Bus zu verlassen
Ein weiteres Detail ist das Auftreten des Vertreters des Landratsamtes. Das Landratsamt ist die zuständige Behörde für die Unterbringung. Laut Polizeibericht habe der Vertreter des Landratsamtes vor Beginn der Räumung des Busses die Geflüchteten im Bus mehrfach aufgefordert, diesen zu verlassen. Auch habe er dafür Dolmetscher instruiert.
Ein Augenzeuge hat die Situation aber ganz anders erlebt. Demnach hat der Landratsamtsvertreter die Durchsage genau einmal gemacht – auf Deutsch. Die Durchsage, wie auch der Versuch eines Dolmetschers, die Durchsage zu übersetzen, gingen im allgemeinen Tumult im Bus unter. Die Leute hatten Angst, viele weinten, es war sehr laut. Dazu kam, dass ein großer Teil der Businsassen auch die Durchsage des Dolmetschers gar nicht hätte verstehen können, da nicht alle Geflüchteten im Bus arabisch sprachen.
Aber wie kommt die offensichtlich geschönte Schilderung des Landratsvertreters in den Polizeibericht? Warum wird sogar ein solches Detail so zurecht gebogen?
Fazit
Die alles entscheidende Frage ist und bleibt, warum der Landkreis es nicht vermocht hat, in Kooperation mit der Polizei eine alternative Unterbringung für die Geflüchteten aufzutun und die Situation vor Ort zu verhindern. Dass es auch anders geht, zeigte eine weitaus weniger drastische Situation im Erzgebirgskreis. Dort weigerten sich – kurz nach Clausnitz – Geflüchtete in Schlettau den Bus zu verlassen. Es wurde daraufhin eine andere Möglichkeit der Unterbringung gefunden.
In einem Szenario wie in Clausnitz, wo zuerst die Zufahrtsstraße durch einen Traktor mit Schneepflug und im Verlauf durch einen Kleintransporter, PKW und etwa 100 Personen blockiert wurde, wäre eine Entscheidung zur Umkehr das Mindeste gewesen. Von der Polizei hieß es im Nachhinein, dass eine Umkehr aufgrund der Beschaffenheit der Straße nicht möglich gewesen sei. Ebenfalls nicht möglich war die Auflösung der Rassist*innenansammlung. Das gewaltsame Vorgehen gegen die Geflüchteten allerdings war möglich.
Das empathielose Handeln im Umgang mit den Geflüchteten, welches am Ende die Menschenfeinde bestärkt haben dürfte, und die unzureichende Aufarbeitung der Ereignisse in Clausnitz stehen symptomatisch für dieses Sachsen.
Übrigens laufen insgesamt vier Ermittlungsverfahren gegen Beteiligte des Mobs, eines wegen des Verdachtes der Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten, eines wegen des Verdachts des Verstoßes gegen das Sächsische Versammlungsgesetz, eines wegen des Verdachts der Bedrohung sowie der Nötigung. Des weiteren gingen zahlreiche Anzeigen wegen Körperverletzung im Amt ein. Wie der Stand der Dinge ist, erfrage ich derzeit mit einer Kleinen Anfrage.
>>> Kleine Anfrage Valentin Lippmann zum Verlauf der Ereignisse
>>> Kleine Anfrage 6/4289 von Juliane Nagel zum Polizeieinsatz
[2] Erklärung von Juliane Nagel zur Pressekonferenz der Polizei nach Clausnitz