Weltnest fragt nach dem Anstieg der Kriminalität in Leipzig. Ich meine: Statistiken sind vorsichtig zu lesen und Ursachen zu hinterfragen
Martin fragt:
Zurück in die Zukunft! In Leipzig hat die Kriminalität wieder den Stand von 1999 erreicht. Vor allem die Einbrüche machen den Leipzigern zu schaffen. Wie lässt sich dieser Trend aufhalten, wenn zwar die Zahl der Einwohner wächst, nicht aber die der Polizeibeamten?
Meine Antwort:
Schwierige Frage, denn für einen fundierten Vergleich hiesse es Statistiken selbst auszuwerten und zu hinterfragen. Spätestens! seit der „Erfolgsmeldung“ über die Senkung der Kriminalität in Connewitz durch den Polizeiposten, die offensichtlich auf falschen Zahlen beruht, bin ich vorsichtig geworden.
Die sächsische Polizeiliche Kriminalitätsstatistik sagt zum Jahr 2009: „Die im Freistaat Sachsen registrierte Kriminalität ging weiter zurück. Nach Anzahl der erfassten Delikte war das Jahr 2009 damit eines der sichersten Jahre seit 1993.“ Seinerzeit gab es im Freistaat Sachsen 279.467 Straftaten. 2014 sind es 327.196. Aussagekräftiger sind jedoch die Häufigkeitszahlen (Kriminalität pro 100.000 EinwohnerInnen). Diese lag in Leipzig 2009 bei und 2014 bei 8086.
Nominell also klare Anstiege. Doch es gibt eine Reihe Faktoren, die hier hinzugezogen werden müssen: das Anzeigeverhalten ist gestiegen, es sind ganz neue Kriminaliätsarten und -formen hinzugekommen – Stichwort Internet – und auch die Präsenz und Einsatzstärke der Polizei muss betrachtet werden.
Festzuhalten ist, dass Kriminalität in der langen Rückschau rückläufig ist, ExpertInnen meinen, dass Deutschland noch nie sicherer war. Der Hamburger Kriminologe Birger Antholz arbeitet in einer Untersuchung der Kriminalitätsentwicklung heraus, dass die Straftatenbegehung in den vergangenen 20 Jahren um über 40 Prozent zurückgegangen sein soll. Zudem ist ein Anstieg von Diebstahl und anderen Vermögensdelikten zu konstatieren. Dies spiegelt auch der hohe Anteil von Eigentumsdelikten in Leipzig (jede 2. Straftat ist ein entsprechendes Delikt). Eine geringen Anteil im Gesamt-Kriminalitätsaufkommen nehmen schwere, z.B. Gewaltstraftaten, ein. Diese werden jedoch medial meist am meisten beleuchtet, was zu einer Verfälschung der Wahrnehmung führen kann. Zum Thema politisch motivierter Kriminalität (PKM) und den schiefen Vergleichen zwischen rechts und linksmotivierter Kriminalität ließe sich auch einiges beitragen. An dieser Stelle vielleicht nur so viel: Selbst aus dem BKA wurde im vergangenen Jahr auf die Verfälschung der Zahlen im Phänomenbereich PKM links hingewiesen. Vor allem der Bereich der Verstöße gegen das Versammlungsgesetz bläht die entsprechende Teil-Statistik auf. In zahlreichen Fällen stehen dahinter friedliche Sitzblockaden. Auch einen „Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte“ hat man sich schnell eingehandelt, bspw. wenn man sich in einer Stresssituation reflexhaft gegen behelmte BeamtInnen schützen will.
Ausgehend von dieser Betrachtung ist eine Beschränkung auf die Forderung nach mehr Polizei etwas dünn. Es liegt ja auf der Hand, dass die eigene beschissene soziale Situation viele Menschen dazu drängt zu stehlen, auch bzw. vor allem in einer der Armutshauptstädte Deutschlands. Soll Kriminalität wirksam bekämpft werden, muss ein grundlegender sozialpolitischer, ja gesellschaftlicher Paradigmenwechsel eingeleitet werden: Eine garantierte soziale Sicherung für alle, zum Beispiel durch ein Grundeinkommen, Entkriminalisierung bzw. Legalisierung von Drogen, aber auch eine Wiederaneignung des öffentlichen Raumes und der öffentlichen Infrastruktur, die Ent-Anonymisierung des Miteinanders und die Zurückdrängung des Konkurrenzdrucks fallen mir da ein.
Wenn Menschen ihr Umgebung, ihre Stadt etc. als gestaltbar wahrnehmen, so meine optimistische These, steigt auch das Verantwortungsgefühl.
Und genau darüber – Hintergründe und nicht repressive Gegenstrategien – muss vielmehr gesprochen und daraus abgeleitet auch gehandelt werden. Das ist allerdings nix was im Stadtrat oder Landtag zu beschließen ist.