Neue Asylunterkunft in Leipzig-Nord & ressentimentsgeladene Scharmützel

200 Menschen sollen in der neuen Notunterkunft in der Zschortauer Straße 44-46 Platz finden. Am 10.9. informierte die Stadt Leipzig im Brockhaus-Gymnasium über das Vorhaben.

Mehr als 150 Menschen, vor allem mittleren Alters waren in die Aula der Schule gekommen. Scheinbar wurde seitens der Stadt eine angespannte Stimmung erwartet, denn im Schulhof, am Gebäudeeingang und in der Aula selbst waren Polizei und Wachdienst postiert. Als der Sozialbürgermeister Thomas Fabian und die Sozialamtsleiterin Martina Kador-Probst das Vorhaben vorstellten wuchs die Spannung im Saal spürbar.

Worum geht es?

Am 29.7.2014 hatte der Oberbürgermeister eine Eilentscheidung zur Einrichtung einer Notunterkunft für Asylsuchende in der Zschortauer Straße 44/46 gefällt (hier klicken). Für erst einmal drei Jahre sollen hier zirka 200 Geflüchtete unterkommen. Bei dem Objekt handelt es sich um ein ehemaliges Bürogebäude, gelegen in einem Gewerbegebiet im Eutritzsch. Die Unterkunft soll umzäunt und mit einer rund-um-die-Uhr-Bewachung ausgestattet werden. Zudem sind 4 Stellen für soziale Betreuung geplant. Die Kosten für Herrichtung, Betrieb und Betreuung belaufen sich auf 1,3 Millionen Euro jährlich.
Da die Stadt Leipzig in diesem Jahr eine Zuweisung von insgesamt 1439 Geflüchteten erwartet, herrscht Druck Unterbringungsplätze zu schaffen. Neben der Zschortauer Straße ist der Bau einer weiteren großen Unterkunft im Süden Leipzig sowie weiterer kleiner Gemeinschaftsunterkünfte geplant.

Warum wird das Geld nicht in Kindertagesstätten und Schulen gesteckt? Warum wurde nicht frühzeitig informiert? Wie kann die Sicherheit gewährleistet werden, wenn die Unterkunft in Betrieb genommen ist? Wie kann der Vermüllung des Umfeldes begegnet werden? Altbekannte, mit xenophoben Ressentiments gespickte Fragen wurden in zum Teil aggressiver Art und Weise in den Raum geworfen. Auch Argumente von antirassistischen Initiativen wurden in den Einlassungen verwendet: warum wird wiederum eine Massenunterkunft errichtet, wo doch der Zustand in der Torgauer Straße so schlecht ist? Der Zustand des in Rede stehenden Gebäudes wäre zu schlecht. Ob die, die dies einbrachen, wirklich die Sorge um die Lebensqualität der zukünftigen Bewohner*Innen umtreibt, kann bezweifelt werden.
Das Anprangern der Stadt, die mit der Schaffung von Unterbringungsplätzen ganz klar eine Pflichtaufgabe erfüllt, wurde an diesem Abend immer wieder mit Applaus goutiert.
Der Besitzer eines benachbarten Saunaclubs kündigte dessen Schließung an. Auf Nachfrage einer Teilnehmerin was der Grund dafür wäre, folgte die scharfsinnige Antwort: das verstehen sie als Frau nicht. Eine ältere Frau prangerte an, dass die Heimbewohner*innen die Essener Straße als zentraler Hauptstraße im Viertel verunsichern würden, erst am vergangenen Wochenende sei schließlich ein „Ausländer“ aus dem Gebüsch gesprungen und hätte sie bedroht. Schließlich drohte ein Unternehmer aus der Nachbarschaft der geplanten Unterkunft alle Selbstständigen aus der Umgebung zum Schließen ihrer Unternehmen zu bewegen und damit der Stadt durch wegfallende Steuerzahlungen zu schaden, wenn die Stadt nicht weniger Asylsuchende aufnehmen würde. Die Sozialamtsleiterin erklärte in ruhigem Ton den Verteilungsmechanismus: die Menschen, die in Deutschland einen Asylantrag stellen werden nach einem Schlüssel auf die Bundesländer verteilt, nach Sachsen kommen zirka 5 %. Innerhalb des Freistaates kommt derselbe Schlüssel – der sich an der Bevölkerungszahl und dem Steueraufkommen orientiert – zum Zuge. Fast 13 % der Asylsuchenden in Sachsen werden nach Leipzig zugewiesen.
Die Stimmung in der Aula des Brockhaus-Gymnasium kochte hoch, als sich die Stadtvertreter*innen wiederholt und korrekterweise weigerten den Namen des Besitzers des in Rede stehenden Gebäudes zu nennen. Auch der Abbau von Polizeibeamt*innen wurde in Unkenntnis der Zuständigkeit immer wieder der Stadt untergeschoben.
Auch wenn die Diskussion an diesem Mittwochabend im Rahmen blieb, hing eine deutlich ressentimentsgeladene Stimmung im Raum. Kriminalität, Vermüllung, Geschäftsschädigung werden auch hier mit der Unterbringung von Zuflucht suchenden Menschen in Verbindung gebracht. Der Sozialbürgermeister und einige andere Redner*innen sprachen sich klar und deutlich dagegen aus die Menschen unter Generalverdacht zu stellen.

Dem ist nichts hinzuzufügen. Die Veranstaltung im Brockhaus-Gymnasium oder die krasse Stimmung gegen eine Unterkunft für aus Syrien geflüchtete Menschen in Zwickau  zeigt wie brüchig zivilisatorische Standards sind. Von Einfühlungsvermögen und Solidarität mit Menschen in Not ganz zu schweigen. Dass die Alternative für Deutschland im Leipziger Norden bei der Landtagswahl überdurchschnittliche Ergebnisse erzielte, scheint folgerichtig.

Es bleibt mehr als viel zu tun.

 

 

2 Gedanken zu „Neue Asylunterkunft in Leipzig-Nord & ressentimentsgeladene Scharmützel“

  1. „Die Veranstaltung […] zeigt wie brüchig zivilisatorische Standards sind. Von Einfühlungsvermögen und Solidarität mit Menschen in Not ganz zu schweigen.“

    Genau das ist es, was mir Sorgen macht. Zivilisatorische Standards wie Einfühlungsvermögen und Solidarität werden hochgehalten, solange es nicht weh tut. Sie kommen über die Lippen, doch sind sie weder im Kopf, noch im „Herzen“.

  2. „Vermüllung, Geschäftsschädigung (…)“, ich meine, wie soll man sich jemals in dieser Stadt wohlfühlen können? Man hat es natürlich auch anderenorts, aber wenn eine Stadt auf einen Seite derart gehypt wird, neues Berlin etc., es scheinbar ja offene und politisch nicht Desinteressierte Menschen geben soll, wie erklärt man sich dann diese geringe Wahlbeteiligung? Irgendwo muss doch mal ein öffentliches Bewusstsein geschaffen werden, welches diesen unreflektierten und, na, man muss es sagen, „unterentwickelten“ Betrachtungen Einhalt gebiet. Stattdessen verschanzen sich die meisten in ihren Themengebiet-Stadtvierteln, regen sich temporär vom Südbalkon mit Kanalblick auf, um abends beim guten Rotwein die doch nicht persönlich betreffenden Probleme runterzuspülen. Ich habe das selbst auch viel zu lange getan.

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