„Die Anklage hätte auch auf versuchten Totschlag lauten können“. Nazischläger von Geithain muss nach Berufungsverhandlung am 31.3.2011 doch Haftstrafe antreten
Am 7.5.2010 wurde der15-jährige Florian von dem der regionalen Naziszene angehörenden Albert R. an der Tankstelle in der Peniger Straße in Geithain (Landkreis Leipzig) angegriffen. (1) Mit einem Tritt in den Brustkorb und einem Schlag auf den Kopf zertrümmerte er Florians Schädelknochen. Nur mit etwas Glück drangen die Knochenteile nicht ins Gehirn ein, was entweder schwerwiegende bleibende Schäden oder sogar den Tod des 15-jährigen zur Folge hätte haben können.
10 Tage später wurde der dringend tatverdächtige Albert R. festgenommen und in Untersuchungshaft in die JVA Zwickau verbracht. Am 29.10.2010 verurteilte das Amtsgericht Chemnitz R. wegen gefährlicher Körperverletzung zu 20 Monaten Haft, allerdings ausgesetzt auf 3 Jahre Bewährung. (2) Sowohl die Staatsanwaltschaft als auch der Nebenklagevertreter der Familie des Opfers waren gegen das Urteil des Amtsgerichtes Chemnitz und hier explizit gegen das Strafmaß in Berufung gegangen.
Am heutigen 31. März fand am Landgericht Chemnitz die Berufungsverhandlung gegen Albert R. statt. Im Ergebnis wurde die Bewährung, wie von Staatsanwaltschaft und Nebenklage gefordert, zurückgenommen. Albert R. muss demnach eine Haftstrafe (anderthalb Jahre) antreten, wobei ihm noch die Möglichkeit zusteht, gegen das Urteil Rechtsmittel einzulegen.
„Das Urteil des Landgerichtes Chemnitz stimmt zufrieden. Zwar kann es die menschenverachtende, brutale Tat nicht ungeschehen machen, auch ist längst nicht ausgemacht ob das Opfer nicht bleibende Schäden davontragen wird, jedoch hat die zuständige Richterin das beinah skandalöse Urteil des Amtsgerichtes aufgehoben und damit die Dimension der Tat anerkannt. Sie unterstrich, dass der Angeklagte noch von Glück reden kann, dass die Anklage nicht auf versuchten Totschlag lautete. Vor dem Hintergrund des lange Vorstrafenregisters des Angeklagten, das sieben Verurteilungen, davon fünf wegen Körperverletzungsdelikten, aufweist, erschien die vom Amtsgericht verhängte Bewährungsstrafe nicht nachvollziehbar. Die dafür als Begründung herhaltende „positive Sozialprognose“, die die Jugendgerichtshilfe R. Bescheinigte, wurde von Staatsanwalt und Nebenklage berechtigterweise vehement angezweifelt.
Das Urteil hat darüber hinaus eine politische Dimension. Das Opfer ist als Punk erkennbar und wird der alternativen Szene Geithains zugerechnet. Albert R. war während der Tat in Begleitung von einschlägig bekannten Neonazis, nahm und nimmt regelmäßig an Neonazi-Demonstrationen teil und wurde bei der erstinstanzlichen Verhandlung im Oktober 2010 unter anderem vom Geithainer NPD-Stadtrat Manuel Tripp in Empfang genommen, der seine Freude über das Urteil nicht verbergen konnte. Schon während Albert R. sich in Untersuchungs-Haft befand, wurden auf neonazistischen Internetseiten Solidaritätsadressen gepostet und im Mai 2010 fand in Bad Lausick sogar eine Spontandemonstration der neonazistischen „Freien Kräfte“ statt, bei der „Freiheit für Albert“ gefordert wurde. (3)
Nicht nur diese Tat zeigt, dass es auch eine wichtige politische und zivilgesellschaftliche Aufgabe ist, sich mit den erstarkenden neonazistischen Strukturen auseinanderzusetzen. Denn nicht nur für nicht-rechte Jugendliche stellt ein solches Szenario eine alltägliche Bedrohung dar.
Der Landkreis Leipzig war im Jahr 2010 laut Statistik der sächsischen Opferberatungsstellen (4) mit Abstand negativer Spitzenreiter in Sachen rechtsmotivierter und rassistischer Angriffe. Die Strukturen der so genannten „Freien Kräfte“ konnten sich insbesondere in Geithain in den letzten Jahren verfestigen.“
Pressemitteilung, 31.3.2011
http://mthielicke.blogsport.de/2011/03/31/berufungsverhandlung-wegen-naziuebergriff-in-geithain/
1 Jahr und 6 Monate ohne Bewährung hat er bekommen.