Was machen Sie bei McDonalds in Kyiv, Frau Nagel?

Nachdem der „Zehn vor zwölf“-Newsletter der Freien Presse etwas daneben gegriffen hat, meinen Besuch in einem Fastfood-Restaurant in eine Reihe mit Trump, Merz und Söder stellte, bekam ich in einem Kurzinterview die Möglichkeit den Grund des Besuches zu erklären: eine politische Reise in die Ukraine:

Freie Presse: Ein wenige Tage altes Foto zeigt sie bei McDonalds in Kiew. Was haben Sie da gemacht?

Juliane Nagel: Ich war eine Woche unterwegs in der Ukraine, aber nicht, um in Fast-Food-Restaurants zu essen. Ich habe dort Mitglieder einer neuen Bewegung für die Rechte von Frauen, Krankenschwestern und Pflegepersonal getroffen. Sie waren auf der Durchreise in die Westukraine und sind in Kiew umgestiegen. Wir brauchten einen pragmatischen Treffpunkt am Bahnhof.

FP: Worum ging es dabei?

Nagel: Die Bewegung organisiert landesweit Protest gegen die Sparpolitik im Gesundheitswesen. Das ist wie hier, nur viel dramatischer, weil das Geld nicht reicht und der Betreuungsschlüssel im Pflegebereich sehr, sehr schwierig ist. Die Sprecherin der Initiative hat gesagt: Bei uns liegt der Schlüssel bei 1:50, während man sich bei euch über 1:12 beschwert.

FP: Waren Sie das erste Mal in der Ukraine?

Nagel: Ich war schon im Januar 2023 dort, um zu erfahren, was in der Gesellschaft los ist. Jetzt wollte ich wissen, wie Trump und die Debatten hierzulande in der Ukraine gesehen werden und wie der Zustand des Landes nach drei Jahren Krieg ist.

FP: Und wie gucken die Menschen auf Trump und Debatten in Sachsen?

Nagel: Sehr kritisch. Ein Gesprächspartner hat sich sehr geärgert über das, was Ministerpräsident Kretschmer hier und da verlautbart hat und – sehr verkürzt ausgedrückt – so eine Flanke in Richtung Russland durchscheinen lässt. Auch von Trump fühlen sich die Menschen bevormundet, weil er über den Kopf der Ukraine und der ukrainischen Gesellschaft hinweg agiert.

FP: Trump macht ja angeblich Fortschritte auf einem Weg zum Frieden.

Nagel: Die Menschen wollen aber nicht unter russischem Diktat leben oder einen Frieden, der nicht die Interessen der Ukraine als eigenständiges Land berücksichtigt. Besonders makaber war für mich eine Nacht, in der Kiew so stark wie noch nie mit Raketen und Drohnen angegriffen wurde, während in der internationalen Presse Trumps Ankündigung zu lesen war, dass man jetzt einen Deal mit Putin hätte und eine Annäherung stattfinde. Bei dem Luftangriff wurden Dutzende verletzt und einige getötet.

FP: Und wie haben Sie sonst die Lage vor Ort erlebt?

Nagel: Die von Trump gestoppten humanitären Hilfen von USAID wirken sich massiv auf die medizinische Versorgung, soziale Hilfen für Binnenvertriebene aus der Ostukraine, Hilfe für Menschen mit Beeinträchtigungen oder Opfer sexualisierter Gewalt aus. Senioren müssen im großen Maßstab in den Westen des Landes transferiert und im ländlichen Gebiet verbliebene Menschen versorgt werden, die durch den Krieg schon jetzt, wenn überhaupt, nur schwer an medizinische Leistungen kommen. Das Streichen der US-Hilfen lässt Strukturen zusammenbrechen und Hilfsorganisationen können nicht weiterarbeiten, die diese Leistungen erbringen.

FP: Aber was können Sie da vor Ort bewirken?

Nagel: Einerseits können wir diese Botschaften mitnehmen und öffentlich machen. Andererseits: Ich komme aus Leipzig, der Partnerstadt von Kiew. Leipzig könnte ein soziales Modellwohnprojekt für Binnenvertriebene unterstützen. Das werde ich auf jeden Fall mit in den Stadtrat nehmen. Und es geht auch um die schwierige Debatte in der Linkspartei.

FP: Die Linke ist ja gegen Waffenlieferungen.

Nagel: Vorsichtig ausgedrückt habe ich eine Minderheitenposition in meiner Partei, weil ich dafür offen bin. Ich wüsste nicht, wie die Ukrainer sich sonst selbst verteidigen könnten. Ich habe dort auch viele linke Akteure getroffen, die in der Armee kämpfen, obwohl sie vielleicht zu dem Staat und bestimmten neoliberalen Politiken in der Ukraine eine Distanz haben, aber klar sagen: Ich lebe lieber in der freien Ukraine als unter russischem Diktat. Die beißen deshalb in den sauren Apfel. Ich habe den Luftangriff, das Feuer am Himmel gesehen und die Einschläge waren laut und heftig. Wenn man weiß, dass Luft- und Raketenabwehr auch ein Waffentyp ist, muss ich sagen: Wir waren froh, dass es diese Abwehr gibt.

FP: Wann fahren Sie wieder hin?

Nagel: Wir müssen jetzt erst mal die Ideen verarbeiten, die wir mitgebracht haben und die Kontakte mit den Gewerkschaften und Organisationen aus der Ukraine verknüpfen, damit die gesehen und unterstützt werden. Wir haben ein Bild davon bekommen, wie sich die Gesellschaft im Krieg am Leben hält und gut weiterexistiert, demokratisch existiert. In einem Jahr fahre ich dann vielleicht wieder hin. (two)

Freie Presse, 07. Mai 2025

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