Das Verwaltungsgericht Hamburg hat unter Berufung auf die Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichtes das Grundsatzurteil gefällt (9 K 1669/18), dass das Eindringen in den persönlichen Wohnraum zum Zwecke des Aufgreifens vollziehbar Ausreisepflichtiger rechtswidrig ist, sofern dafür kein richterlicher Beschluss vorliegt. Mein Kommentar:
Geklagt hatte ein jesidisches Ehepaar aus dem Irak mit zwei Kindern. Diese sollten auf Grundlage des Dublin-III-Abkommens in die Niederlande zurückgeschoben werden. Am 16. Februar 2017 drang die Polizei nachts in die Wohnräume des Paars in der Asylunterkunft in Hamburg-Bergedorf ein. Die Familie wurde im Zuge der Abschiebung getrennt, die hochschwangere Frau blieb in Hamburg, der Mann und beiden Kinder wurden in die Niederlande zurückgeschoben.
Das Gericht begründet wie folgt: Erstens verstoße bereits das Eindringen in die Wohnräume ohne Einwilligung der Betroffenen gegen den Grundsatz der Unverletzbarkeit der Wohnung in Artikel 13 des Grundgesetzes. Dafür ist laut Hamburgischem Verwaltungsvollstreckungsgesetz ein richterlicher Durchsuchungsbeschluss notwendig, den es nicht gab. Das Gericht stellte zudem fest, dass es sich auch bei Wohnräumen in einer Asylunterkunft um Wohnungen handelt.
Juliane Nagel, Sprecherin der Linksfraktion für Migrations- und Flüchtlingspolitik, erklärt:
„Das Urteil ist wegweisend und stärkt die Rechte von geflüchteten Menschen. Auch in Sachsen ist es üblich, dass die Polizei vorzugsweise nachts in Wohnräume von Geflüchteten – sowohl in selbst angemieteten Wohnungen als auch in Asylunterkünfte – eindringt, um Abschiebungen zu vollziehen. Menschen werden aus dem Schlaf gerissen, dürfen nur das Nötigste zusammenpacken, auch das Trennen von Familien ist inzwischen gang und gäbe. Das ist entwürdigend und oft traumatisierend. Auch in Sachsen schreibt das Verwaltungsvollstreckungsgesetz in § 6 einen richterlichen Beschluss als Voraussetzung für das Betreten und Durchsuchen von Wohnungen vor. Das Hamburger Urteil sollte also auch in Sachsen Konsequenzen haben!
Konsequenzen muss das Urteil auch auf die Position der Landesregierung zur Einordnung von Asylunterkünften haben. In der Antwort auf meine Kleine Anfrage 6/16060 führt das Innenministerium aus: ,Bei den Räumen in Aufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften handelt es sich grundsätzlich nicht um Wohnungen im Sinne des Artikels 13 Absatz 1 GG.‘ Das Verwaltungsgericht Hamburg dagegen stellt fest: ,Das Asylgesetz verwendet im Zusammenhang mit dem Aufenthalt von Asylbewerbern in Aufnahmeeinrichtungen (§ 47 AsylG) und Gemeinschaftseinrichtungen (§ 53 AsylG) selbst den Begriff des Wohnens. […] Bei den beiden Zimmern der Kläger in der Wohnunterkunft handelt es sich um eine Wohnung im Sinne von § 23 HmbVwVG und Art. 13 Abs. 1 GG.‘ Die Staatsregierung muss diese Rechtsauffassung verantwortungsvoll prüfen und Schlussfolgerungen im Sinne geflüchteter Menschen ziehen!“