Leipzig als Testfeld einer härteren polizeilichen Gangart. Redebeitrag zur No-IMK-Demo am 7. Dezember 2017

Um Überwachungs- und Kontrollwahn und auch – mehr oder weniger subtile – Methoden der Verdrängung von unliebsamen Personengruppen aus dem repräsentativen Innenstadtraum zu beobachten, muss mensch nicht allein auf die IMK schauen, es reicht der Blick in den unmittelbaren Nahraum hier in Leipzig.
Kennen wir die Videoüberwachung öffentlicher Räume, die schrankenlosen Kontrollen und Durchsuchungen an geheim gehaltenen so genannten „gefährlichen Orten“ oder in definierten Kontrollbereichen zur Genüge, werden gerade dieser Wochen und Tage neue technologische Mittel,und neue Befugnisse für Ordnung und Sicherheit auf den Weg gebracht.
Leipzig wird derzeit zum Testfeld einer härteren polizeilichen Gangart. An insgesamt 4 so genannten gefährlichen Orten – am Hauptbahnhof, am Schwanenteich hinter der Oper, in der Eisenbahnstrasse und in der Stuttgarter Allee in Grünau, werden für 12 Monate die so genannten Bodycams getestet – kleine Kameras direkt am Polizeibeamten, die den/die BürgerIn der Willkür der BeamtInnen ausliefern.
Der Leipziger Osten wird um die Eisenbahnstraße herum, der laut Boulevardpresse „gefährlichsten Straße Deutschlands“ – wird mit dem neuen Jahr zur Waffenverbotszone. Hier kann jede und jeder kontrolliert und durchsucht werden, wer Schuss- und Schreckschusswaffen, Messer oder Knüppel mit sich führt, muss mit Bussgeldern rechnen.
Angekündigt ist zudem der Einsatz einer Prognosesoftware zur Früherkennung von Wohnungseinbrüchen, ebenfalls im Bereich der Eisenbahnstraße. Zukünftig werden mit dieser Prognosesoftware vielleicht auch persönliche Daten und digitale Spuren von Menschen zur Kriminalitätsbekämpfung eingesetzt. Bisher erweist sich dieses bereits in anderen Bundesländern eingesetzte Tool als recht nutzlos.
Und last but not least wurde dieser Tage auch die Präsenz der Polizei und Komplexkontrollen auch in Bus und Bahn, die absurderweise bisher als „besonders sicher“ gelten, angekündigt.

Diese repressiv-präventiven Maßnahmen werden flankiert durch „weiche Maßnahmen“ zur Verdrängung von missliebigen Personen aus dem Innenstadtraum. Seit Mai diesen Jahres beschallt die privatwirtschaftliche Verwalterin der Hauptbahnhofpromenaden die Westhalle des Hauptbahnhofs mit lauter klassischer Musik, genehmigt vom städtischen Ordnungsamt. Ziel ist es herumlungernde Wohnunglose und BettlerInnen zu vertreiben. Die Stadt prüft zudem die Übertragung der Außenbereiche des Hauptbahnhofs an die Betreiber-GmBH der Einkaufszone des Bahnhofs. Dann würde die restriktive Hausordnung des Innenbereichs auch außen von privaten Securitys exekutiert werden können. Dies bedeutet also nicht nur die Privatisierung von öffentlichem Raum, sondern auch der öffentlichen Sicherheit. Der sächsische Unternehmerverband macht noch dazu Stimmung gegen bettelnde Menschen in der Stadt und wünscht sich eine „bettlerfreie Innenstadt“. Vor etwa einem Jahr wurde die Polizeiverordnung der Stadt in dieser Hinsicht verschärft.

All diese Maßnahmen stärken das seit langem geltende Paradigma eines präventiven Sicherheitsstaats. Kontrolle wird gesellschaftlich verallgemeinert, sie funktioniert vorbeugend, ereignis- und verdachtsunabhängig und oft raumbezogen und nicht mehr gezielt zur Verhinderung oder Ahndung von (verübten) Straftaten.
Dieses Sicherheitsparadigma stößt zudem auf Zuspruch bei weiten Teilen der Bevölkerung. Medial und politisch angeheizte Kriminalitätsfurcht und tief verankerte Ressentiments gegen Menschen, die nicht der Norm entsprechen, die sozial marginalisiert oder anderer Herkunft sind, feuern repressive Maßnahmen an.

Die Ausweitung von Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen kaschieren derweil soziale Problemlagen oder werden gezielt zur Bekämpfung dissidenter Gruppen eingesetzt. Erinnert sei hier an die Videoüberwachung und ausgiebige polizeiliche Bestreifung im linksalternativen Leipzig-Connewitz.
In Bezug auf Leipzig muss der Fokus gegenwärtig allerdings auf die Eisenbahnstraße und den Bereich um den Hauptbahnhof gerichtet werden. Es vergeht kaum ein Tag an dem diese Orte durch Polizei und Medien nicht zu Kriminalitätsschwerpunkten und Unsicherheitsräumen stilisiert werden. Die erwähnten neuen und erweiterten Kontrollbefugnisse kommen genau hier zum Zuge.
Dabei ist es nur eine Stilblüte, dass DrogenkonsumentInnen durch die in den 1990er Jahren installierte Videoüberwachung am Hauptbahnhof in den Leipziger Osten verdrängt wurden, wo sie heute ebenfalls per polizeilicher Dauervideoüberwachung und massiven Polizeikontrollen gejagt werden.

Anstelle einer hochgerüsteten Polizei und der Erweiterung von polizeilichen und ordnungspolitischen Kompetenzen braucht es vor allem eines: die kollektive Überwindung der Verhältnisse, die Menschen in Armut drängen, die Menschen marginalisieren und verelenden lassen. Lasst uns kollektiv die öffentlichen Räume zurückerobern und die Kämpfe gegen Sicherheits- und Kontrollwahn verbinden. Es geht nicht allein um die kuschligen linken Wohlfühlräume, es geht ums Ganze.

Bildquelle: http://ueberlebeninaltona.blogsport.de

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