Connewitz ist openminded, hier haben Rassismus und Faschismus keinen Platz, hier kommen Menschen im öffentlichen Raum zusammen, hier existieren gute solidarische nachbarschaftliche Netzwerke. So erleben viele, auch ich den Stadtteil, in der Rückschau und auch in der Gegenwart. Doch der Haussegen hängt für mich gewaltig schief.
Ich weiß: Ich werde mir mit den folgenden Zeilen keine Freund*innen machen. Sicher schaue ich auch etwas grob auf die Szenerie. Aber…
Ich will zum aktuellen Konflikt um das alte und das neue Domizil des traditionsreichen Spätis Lazy dog schreiben. Und muss mir selbst vorwerfen, dass ich viel zu lange auch nur Zuschauerin mit einer gewissen Parteilichkeit war. Dass ich selbst nachdem Steine auf die Scheiben flogen, hinter denen Menschen mit Fluchtgeschichte standen, geschwiegen habe, und nur im engeren Kreis Diskussionen über fehlendes Sensibilität gegenüber rassistischer Ausgrenzung vieler Connewitzer Szenegänger*innen angezettelt habe, bereue ich. Schon vorher waren Leute in den Laden, der im ehemaligen Domizil in der Wolfgang-Heinze-Straße Ecke Hermannstraße ansässig ist, gestürmt, haben ihre Wut abgelassen, haben Menschen, die dort arbeiten und sich doch trauten einzukaufen beschimpft und bespuckt. Unfassbar eigentlich.
Ja, die Verdrängung des Spätis Lazy dog – zum 3. Mal seit 2004 – war und bleibt richtig scheiße, und ist durch nichts schön zu reden. Sie bettet sich in die kaum aufzuhaltende Aufwärtsspirale von Mieten in Leipzig ein, für Gewerbe fehlt es dabei fast komplett an wirksamen Schutzmechanismen. Und so kommt es, dass ein Ehepaar, dass in der Südvorstadt über 6000 Euro Miete für einen Frisörsalon zahlt, das Erdgeschoss der Wolle-Heinze Ecke Hermannstraße kaufte um sich mit ihrem Gewerbe dort niederzulassen und perspektivisch dort auch zu wohnen. Für das Lazy hätte der Eigentümerwechsel die Verdoppelung der Miete und ein nahendes Ende des Mietvertrages bedeutet. Letzteres kann auch dem dort ansässigen Pflegedienst blühen.
Der Umzug des „Lazy“ in das kollektive Hausprojekt im Nachbarhaus allerdings dürfte unterm Strich Glück im Unglück sein, denn hier sollten Verdrängung und überbordende Mieterhöhungen ein No-Go sein.
Für große Irritationen hat der Fakt gesorgt, dass das neue Geschäft im ehemaligen Lazy-Domizil sich als Späti präsentierte und nicht wie erwartet als Frisörladen. Die Eigentümer*innen erklären dazu, dass sich die Eröffnung eines Frisörladens in Corona-Zeiten nicht lohnte. Plausibel. Und weiter, dass arbeitslos gewordene Familienmitglieder die Chance ergriffen haben, eine Erwerbsmöglichkeit mit einem eigenen Laden zu bekommen. Ebenfalls verständlich. Dass der Start als Späti, der vielen als billige und provokante Kopie des Lazy dog erschien, mit den hohen Hygieneauflagen und der späten Freigabe für einen Imbiss zu tun hatte. Sehr wahrscheinlich. Denn das Sortiment hat sich inzwischen geändert. Es präsentiert sich vor Ort nun ein türkisches Schnellrestaurant. Vielleicht hat auch die Kenntnis darüber, dass das Lazy dog in direkter Nachbarschaft wieder eröffnet dazu geführt. Hoffentlich war es nicht der Hass, der den Betreiber*innen des nunmehr Imbisses „Pause“ entgegenschlug. Denn auf diese Art und Weise zum Ziel zu kommen, ist ein Weg, den zumindest ich ablehne. Gerade wenn er damit verbunden ist, Menschen mit Migrations- und Fluchtbiografie mit allen Mitteln zu verstehen zu geben, dass sie in Connewitz nicht erwünscht sind.
Und es ist bei weitem nicht der einzige und erste Fall dieser Art. Auch Pizza-Revolution am Wiedebachplatz wurde 2018 mit Steinen und weiteren kleinen Schikanen eingedeckt, weil die Mitarbeiter*innen das ungeschriebene Gesetz „Unser Kiez, unsere Regeln“ „missachtet“ hatten, mit hoher Wahrscheinlichkeit ohne es zu kennen, oder eben zu akzeptieren (1). Im Stadtteil ist zudem landläufig zu hören, dass der benachbarte „Kiezspäti“ gemieden werden soll. Und auch dem neuen Bäcker in der Bornaischen Ecke Stö werden nicht gerade die Türen eingerannt.
In eine gesunde Skepsis gegenüber kleinunternehmerischen Prinzipien und zum Teil überteuerten Preisen mischen sich in meiner Wahrnehmung allerdings rassistische Stereotype.
Den Kleinunternehmer*innen mit Migrationsbiografie wird doppelt abgesprochen sich im Connewitzer Kiez – mit den Regeln, die nur die kennen, die sie als solche behaupten – niederzulassen und tätig zu sein. An den Spätiecken wird abgecheckt zu welchen Firmenimperien oder gar kriminellen Clans die Neuen wohl gehören mögen, werden besonders hohe Standards aufgebaut, denen sich die, mit denen mensch nicht redet (und einige tun das doch, das weiß ich und rechne ich hoch an) erstmal unterwerfen müssen, wird über dicke Autos, Lärm und Unfreundlichkeit gemeckert.
Nein, Migrant*innen sind nicht die besseren Menschen. Aber Connewitzer*innen sollten versuchen es zu sein. Und sie sollten es sein, die offen kommunizieren, Lösungen suchen und die besonders sensibel sind, wenn Menschen, die gesellschaftlich marginalisierter und staatlich diskriminierter sind als sie selbst im Viertel aufschlagen und sich hier niederlassen wollen. Auch weil der Stadtteil einer der weißeren im Gesamtstadtbild ist.
Steine auf Läden, in denen Menschen stehen, die geflüchtet oder von Rassimus betroffen sind, stehen dem selbst so oft (und eben oft nur) demonstrierten offenen, antirassistischen Anspruch diametral gegenüber.
Wenn die Betroffenen sich melden, weil sie in Connewitz Angst haben, wenn Beobachter*innen von einer „Pogromstimmung“ sprechen, spätestens dann ist Schluss. Eigentlich sollte es das weit davor sein.
Denn „auch“ wenn Migrant*innen Kleinunternehmer*innen sind, verdienen sie linke, verdienen sie prinzipiell antirassistische Solidarität und Parteinahme. Verdienen sie es ganz konkret, offen und hart kritisiert zu werden, wenn es nötig ist.
Kommunikation, die Reflexion eigener Privilegien und eine Offenheit gegenüber neu hinzukommenden Menschen, die vielleicht eine komplett andere Sozialisation erfahren haben, als die meisten von uns überhaupt denken können, das erwarte ich von Menschen, die für einen linken, offenen Stadtteil stehen wollen.
Migrationsbezogene Konflikte bedürfen der besonderen Sensibilität. Denn hier geht es oft ganz unterbewusst auch um Deutungshoheit, um Gewissheiten und Gewohnheiten, die von „Neuen“ infrage gestellt werden, und das muss nicht nur progressiv sein. Insofern bedeutet Kommunikation auch Grenzen zu setzen und zu versuchen Menschen von anderen Denkweisen und Praxen zu überzeugen. Das erfordert mehr Verständigung als wir es bisher kennen. Ein Grund warum Kartoffeln in der sächsischen Provinz sich gegen zuziehende Migrant*innen verbünden und vorgehen; weil sie keinen Bock haben in vielleicht auch schwierige Auseinandersetzungen und Veränderungsprozesse einzutreten und stattdessen alles daran setzen, dass alles bleibt wie es ist, so wie sie es wollen.
Möge sich Connewitz mittel- und langfristig als wirklicher, und nicht nur plakativer Kontrapunkt erweisen.
(1) Mitarbeiter*innen des Pizza-Ladens hatten die Polizei gerufen, nachdem auf der Straße vor ihrem Laden eine Mülltonne angezündet wurde.