Der Landtag hat am 12. Juni über die Fussball-Europameisterschaft diskutiert. Ich habe keine sportpolitische Rede gehalten. Wozu auch? Internationale Fußballturniere unter der Ägide von Fifa und UEFA sind vor allem Geschäftsmodelle, führen zur Einschränkung von Freiheitsrechten und minimierenden Raum für Menschen, die nicht ins Stadtbild passen und für die öffentlichen Haushalte. Das Positive im Windschatten dieser Turniere schaffen Fanprojekte, aktive Fans und soziale Träger. Meine Rede:
In Zeiten von wirtschaftlichen Krisen, von Krieg und faschistischer Landnahme vor allem im Osten ist das Sprechen über ein internationales, europäisches Fußballfest eine Gratwanderung.
Dass gerade ein Vorläufer der EM, die Arbeiterfußball-Europameisterschaft in den 1930er Jahren aufgrund der Machtübergabe an die Nationalsozialisten mit der Zerschlagung der Arbeitersportverbände abgebrochen werden musste, sollte uns mahnen.
Jenseits blumiger Worte hat die nahende EM durchaus Potential ein positives Gegenbild zu einem Europa der Abschottung und des Erstarkens faschistischer Kräfte zu sein.
Wenn sie nicht durch chauvinistischen Nationalstolz und Sicherheitshysterie übertönt wird. In den kritischen Fokus gehört eben auch, dass mit ihr ein unfassbares Geschäftsmodell verbunden ist.
Denn: die aktuelle Europameisterschaft wird ein Milliardengeschäft für die Fußballfunktionäre während die Allgemeinheit und die deutsche Kommunen drauf zahlen. Die UEFA rechnet mit einem Rekordgewinn von 1,7 Milliarden Euro, die 10 Austragungsorte in Deutschland dagegen mit etwa einer halben Milliarde Euro Ausgaben. Die Kommunen tragen die Kosten für Umbaumaßnahmen und Investitionen zum Beispiel in Verkehr und Infrastruktur, für Fan Zones und Volunteers im Wesentlichen allein. Dafür haben sie schon 2017 Knebelverträge unterschrieben. Nur wer bereit war, das finanzielle Risiko samt unzähliger Auflagen zu tragen, hatte Chancen auf den Zuschlag. Noch dazu sind die ursprünglich veranschlagten Kosten durch Inflation und Energiepreissteigerungen gestiegen, in Leipzig von 9,5 auf 15 Millionen Euro.
Den vagen Prognosen um Einnahmen über Fan-Tourismus stehen Steuergeschenke der Bundesregierung an die UEFA entgegen, die genaue Dimension wird geheim gehalten, Schätzungen belaufen sich auf 250 Millionen. Und genau das ist ein Skandal – auch angesichts der finanziellen Lage der Kommunen und der Menschen in diesem Land. Gerade für den Breitensport, wo der Nachwuchs für diese Art Fussballturniere entwickelt werden soll, fällt eben kein Geld ab. Und hier wären Investitionen so dringend nötig.
Viele soziale Träger in der Stadt Leipzig machen sich zudem Sorgen, dass als Kehrseite des Hochglanzfussballereignisses wohnungslose, arme Menschen aus dem Innenstadtbereich und vom Hauptbahnhof vertrieben werden, dass junge Menschen ohne Kohle keinen Platz im öffentlichen Raum mehr haben.
Last but not least gehen auch aktive Fans mit Blick auf die EM bereits zurecht auf die Barrikaden, weil auch die sächsische Polizei bereits Gefährdeansprachen verschickt: Auf Basis der umstrittenen Gewalttäter-Sport-Datei, in die man als Fussball-Fan schnell rutscht ohne rechtskräftig verurteilt zu sein. Hier liegt es wie bei anderen Rufen nach sicherheitspolitischen Verschärfungen: Freiheitsrechte, die hart errungen und im Grundgesetz und auf europäischer Ebene verfasst sind dürfen nicht leichtfertige zur Disposition gestellt werden, reine Vermutungen und abstrakte Gefahren kein Argument für pauschale Kontrollen, Verbote wie die von Versammlungen, Vorverurteilungen oder gar Ausgehverbote für Menschen! Es ist gut, dass Fans der BSG Chemie Leipzig gegen die Gefährdeanschreiben vor das Verwaltungsgericht gezogen sind. Ich hoffe, dass sie obsiegen.
Tatsächlich sind internationale Fußballturniere trotz aller Kommerzialisierung und fragwürdiger Bedingungen oft auch Orte der Begegnung, der Vielfalt und des interkulturellen Austausches, vor allem durch die Basisarbeit der Fanprojekte, der aktiven Fans und sozialen Träger. Während Europa nach rechts rückt, in Deutschland Faschisten Wahlsiege einfahren und der Wunsch nach einer „weißeren“ Nationalmannschaft weiterhin salonfähig zu sein scheint, stehen die Nationalteams in ihrer Zusammensetzung hingegen für die kulturelle Vielfalt ihrer Länder ebenso sinnbildlich wie für die Willkür nationaler Identitäten – in diesem Sinne wünschen wir uns neben eine grundsätzlichen Reform solcher Veranstaltungen ein Feiern der Vielfalt, Feiern der Verbundenheit über nationale Grenzen hinweg und Feiern der Vorstellung eines solidarischen Europas.