Weltnest fragt ob der Wachstumsschub für Leipzig Chance oder Herausforderung ist
Martin fragt:
Leipzigs Bevölkerungszuwachs bricht alle Rekorde. Das Wachstum liegt jetzt bereits vor der höchsten Prognose der Stadtverwaltung. Ist dieses Wachstum eher Chance oder Herausforderung?
Meine Antwort:
Das Wachstum ist per se weder Chance noch Herausforderung. Es ist da und Verwaltung und Politik müssen damit umgehen. Denn Menschen kommen nach Leipzig, egal ob wegen dem Hypezig-Hype, der Uni, weil sie hier neu geboren werden, wegen Arbeitsmarktchancen, grünen Parks, weil sie verliebt sind etcpp.
Das Wachstum bedeutet, dass sämtliche Strukturen auf den Prüfstand müssen. Angefangen vom Wohnraum über ÖPNV, Kinder- und Jugendhilfestrukturen, Schule, Freizeitmöglichkeiten, Verwaltungsstrukturen/ Behörden, Freiräume und so weiter und so fort. In allen Bereichen muss es einen Aufwuchs geben.
Wie wir wissen, hat die Stadt in der Vergangenheit auf Grundlage richtig falscher Prognosen gerade im Bereich Kita und Schule dolle versagt, so dass der Platz hier immernoch knapp ist. Beim Wohnraum wurde noch vor nicht all zu langer Zeit vom immensen Leerstand und den Phantomdebatten um Verdrängung und Mietsteigerungen gesprochen. Jetzt kehrt sich die Situation deutlich um. Summa sumarum: Dass die Stadt nicht weiter pennt, dafür hat auch die Politik Druck gemacht. Darum wird derzeit z.B. das Wohnungspolitische Konzept fortgeschrieben. Auch bei Kita- und Schulausbau gibt es sachte Fortschritte. Die Bemühungen müssen auf Grundlage noch dichterer Prognosen fortgesetzt werden.
Wichtig erscheint dabei, nicht nur auf den Wachstumshype zu setzen, sondern auf eine sozial ausgewogene Politik, die versucht jedem und jeder in dieser Stadt ein gutes Leben zu verschaffen. Sprich: es braucht stadtweit bezahlbaren Wohnraum, kein Ortsteil darf infrastrukturell abgehängt werden, sozialräumliche Segregation muss vermieden werden (z.B. in dem der Lindenauer Hafen und der Stadtraum Bayerischer Bahnhof keine Luxusviertel werden) etcpp.
Wichtig außerdem: Die Veränderung der Stadt, die mit dem Wachstum unvermeidbar einher geht, muss mit den Menschen, die hier leben vollzogen werden. Es braucht sowohl kleinteilige als auch grundsätzliche Beteiligungsmöglichkeiten für alle, jenseits der Wahlen.
Es lohnt sich jetzt im Jahr 2015 mit sehr offenen Augen durch die Stadt zu laufen. Jetzt sind die ersten Veränderungen durch den Bevölkerungswachstum sichtbar:
1. Leere Grundstücke auf denen Bäume wuchsen wurden gefällt und hässliche Beton-Glas-Neubauten werden darauf errichtet.
2. Ebenso werden hier und billige Kindertagesstätten in Container errichtet.
3. Die Stadt hat seltsame Konzepte für große Freiflächen wie das Areal um den Bayrischen Bahnhof, die Alte Messe und die AGRA
All das ist heute sichbar, doch wohin führt es wenn wie im Leipziger Süden Massenhaft Bäume gefällt werden und Billig Häuser errichtet werden, die dann dennoch für 8€/m² vermietet werden?
Zum einen wird natürlich die Einwohnerdichte und damit auch die Anzahl von Autos und Abgasen weiter ansteigen. Die Stadt wird sich auch weiter aufheizen, Bäume die im Sommer kühle Luft und Schatten spendeten und Lebensraum für Tiere und andere Pflanzen boten sind nun durch Beton ersetzt.
Die Stadtväter im 19. und 20. Jahrhundert wussten von der Bedeutsamheit von Grünflächen für die Lebensqualität. Bestes Beispiel ist der Bereich Richard-Lehmann-Str. Kreuzung August-Bebel-Str., dort ist ein Lidl und eine Polizeiwache. Bis letztes Jahr befand sich rundherum über 1 Hektar Wald, der musste nun Platz machen für Betonneubauten.
Der Naturreichtum und das Städtische Mikroklima wird dadurch unwiderbringlich zerstört.
Dann weißt Leipzig einen sehr hohen Anteil von Altbauten aus, die hochwertig gebaut sind und auch optisch recht ansehnlich sind. Die oftmals neugebauten Häuser wirken hingegen schlicht und billig, es darf auch bezweifelt werden, dass diese 200 oder gar 300 Jahre alt werden.
Auf den Punkt gebracht es fehlt die Nachhaltigkeit der Stadtentwicklung, sowohl was Grünflächen betrifft, als auch Konzepte zu einer funktionierenden Kindertagesstätten- und Schullandschaft, wie auch Vorschriften für Neubauten.
Die Stadt wird zugekleistert wie München oder Stuttgart. Die Bevölkerung und Mieten steigen, doch die Städtebauliche Qualität sinkt wegen Inkompetenz und mangelnder strategischer und nachhaltiger Stadtplanung.
Es gibt immer weniger Grünflächen, freie Parkplätze, Ortsnahe Kinder- und Schulbetreuung und selbst die vielen großen Seen um Leipzig platzen an Sommerwochenende immer häufiger aus den Nähten, weil die Besucher mangels Infrastruktur nicht optimal an verschiedene Stände verteilt werden, sondern sich stattdessen konzentrieren.
Konzentration ist jedoch kein Mittel für Lebenszufriedenheit, der Stress steigt nicht nur am Badesee sondern auch dort wo die Einwohnerdichte weiter erhöht wird, wo Grünflächen und Parkplätze immer mehr zur Mangelware werden.
Derzeit regiert das Geld in Leipzig, die Lebensqualität der Bürger leidet schon jetzt darunter. Leipzig wird mehr und mehr westdeutschen Großstädten gleichgemacht, somit wird es auch mittelfristig von seiner Attraktivität einbüßen.
Es wäre besser gewesen neue Stadteile zu erschließen, hierzu gibt es ausreichend Feldflächen südlich von Paunsdorf oder von Grünau, dort würden die Betonneubauten auch unter sich sein und somit die Architektur der alt Stadtviertel beeinträchtigen, ebenso gäbe es keine Probleme mit Bäumen, Parkplätzen oder Schulen…
Doch nun ist es zu spät, Leipzig ist auf den besten Weg zu einer Ruhrpotcity wie Düsseldorf zu mutieren, das Krebsgeschwür Betonwüste breitet sich von den Höfen am Brühl über die wohlhabenden Viertel wie Südvorstadt und Waldstraßenviertel durch die ganze Stadt aus, jetzt wird Lindenau und Reudnitz gefressen und letztendlich werden die freien Feldflächen bei Paunsdorf und Grünau dennoch betoniert werden.