Auf Antrag der Grünen wurde a 21. Juni im Landtag über die stärkere Nutzung bestehender Gesetze für ein Bleiberecht für geduldete Menschen diskutiert. DIE LINKE meint zudem, dass Gesetze verändert werden und Barrieren abgebaut werden müssen. Hier dokumentiere ich meine Rede, die von meinem Kollegen Lutz Richter vorgetragen wurde.
Anrede
20 Jahre, solang lebt ein aus Pakistan geflüchteter Mensch bereits in Deutschland, konkret in der sächsischen Kleinstadt Geithain. Er engagiert sich dort in der Initiative für ein weltoffenes Geihain, die von der Linksfraktion in der vergangenen Woche mit einem Willkommenspreis ausgezeichnet wurde. Er spricht perfekt deutsch, hilft beim Dolmetschen, ist aktives Mitglied der Stadtgesellschaft, guter Nachbar und Familienvater. Aber: er lebt seit dem Widerruf seiner Aufenthaltserlaubnis in einer Duldung. Dies betrifft nun auch seine erwachsenden Kinder, die dadurch trotz guter Ausbildung Schwierigkeiten haben einen Job zu bekommen.
Es sind die Fallstricke gesetzlicher Fehl-Regelungen, die die Türen zu einem ordentlichen Aufenthaltsstaus verschließen, in diesem konkreten Fall ist es die nicht selbst verschuldete fehlgeschlagene Passbeschaffung.
Und wie die Grünen zurecht hinweisen, ist eine ganze Reihe von schon lange in Sachsen lebenden Menschen auf die Duldung zurückgeworfen, Menschen, die eigentlich längst Teil dieser Gesellschaft sind, denen die gleichberechtigte Teilhabe aufgrund ihres fehlenden Status, denn die Duldung ist eben kein Aufenthaltsstatus sondern eine Art Gnadenrecht, verwehrt bleibt. Und hier muss mehr Durchlässigkeit geschaffen werden.
Ein Ansatz sind die mit dem Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung veränderten bzw neu geschaffenen Paragraphen 25a und 25 b des Aufenthaltsgesetzes. Muss das von CDU und SPD auf Bundesebene 2015 durchgesetzte Gesetz als klare Asylrechtsverschärfung bezeichnet werden – damit wurde unter anderem das Instrument des Ausreisegewahrsams geschaffen – waren diese beiden Neuregelungen der kleine traurige Kompromiss, den die SPD durchsetzen konnte.
Wiewohl diese lang geforderte stichtagsunabhängige Bleiberechtsregelung für langjährig Geduldete tatsächlich einen Strohhalm bedeutet, greifen die Regelungen in sich zu kurz. Vor allem aber müssen wir anhand der Zahlen feststellen, dass die Zielgruppe nur bedingt erreicht wird.
Dies zeigen die von grünen Bundestagsabgeordneten abgefragten Zahlen ganz deutlich:
Obwohl in Deutschland derzeit über 33.000 Menschen seit mehr als sechs Jahren geduldet leben, davon 25.000 Menschen sogar seit mehr als acht Jahren, hatten Anfang 2017 nur genau 898 Geduldete bundesweit ein Bleiberecht nach § 25b Aufenthaltsgesetz bekommen. Ähnlich sieht es bei Jugendlichen aus: Insgesamt leben ca 12.900 geduldete Jugendliche seit mehr als vier Jahren in Deutschland, aber nur 3.200 haben eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25a AufenthG erhalten.
Die Zahlen für Sachsen habe ich im vergangenen Jahr abgefragt:
Wurden im Jahr 2015 25 Anträge für gut integrierte Jugendliche und Heranwachsende gestellt, von denen immerhin 24 bewilligt wurden, waren es bis Dezember 2016 38 Anträge von denen 26 bewilligt wurden. Beim § 25 b – der Aufenthaltsgewährung bei nachhaltiger Integration – waren es 2015 19 Anträge mit 9 Bewilligungen und 2016 54 Anträge mit bis dato 26 Bewilligungen. Alle Zahlen sind insofern nicht belastbar als dass manche Landkreise und Kreisfreien Städte keine Antworten zuarbeiten und ein lückenloser Blick über die Wirkung von Gesetzen somit verwehrt wird.
Hier zeigt sich einerseits, dass nur ein kleiner Teil der Betroffenen Anträge stellt und es zeigen sich auch klare regionale Unterschiede. Die Analyse, dass dies an verschiedenen Praxen der Ausländerbehörden der Landkreise und Kreisfreien Städte liegt, liegt aus unserer Sicht sehr nah. Wir haben kürzlich mit einem Antrag auf dieses Problem reagiert und gefordert, dass die Staatsregierung Verfahrenshinweise nach dem Vorbild der Ausländerbehörde Berlin erarbeitet, die eine kalkulierbarere und einheitlichere Praxis der Ausländerbehörden in Sachsen ermöglicht. Denn schließlich darf die Chance ein Aufenthaltsrecht zu bekommen keine Frage des Glücks sein – sprich durch die rein bürokratische Entscheidung ob man nach Leipzig oder in den Landkreis Görlitz zugewiesen wurde, verursacht.
Wir unterstützen die von den Grünen beantragte und unter anderem vom Sächsischen Flüchtlingsrat erhobene Forderung, die sächsischen Ausländerbehörden anzuweisen, langjährig geduldete Menschen proaktiv über die in den §§ 25a und 25b AufenthG geregelten Bleiberechtsmöglichkeiten zu beraten und zu informieren ausdrücklich!
Und ich bitte sie jetzt nicht zu erwidern, dass die Inanspruchnahme dieser gesetzlichen Regelungen die Sache der Geflüchteten selber wäre. Denn wir wissen sehr gut wie kompliziert das Asyl- und Aufenthaltsrecht ist, so dass es selbst für emsige JuristInnen kaum mehr durchschaubar ist – gerade vor dem Hintergrund der am Fliessband durch das Bundesparlament gebrachten Änderungen aka Verschärfungen in diesem Bereich. Zu unterstreichen ist auch, dass es in Sachsen faktisch keine aus öffentlichen Geldern finanzierte Asylverfahrensberatung gibt, Beratungen ganz im rechtsstaatlichen Sinne, die dazu dienen sollen die AdressatInnen der Gesetze in die Lage zu versetzen diese zu verstehen und die Möglichkeiten, die ihnen per Gesetz auch zugestanden werden, zu nutzen.
Auch den weiteren Punkt des Antrages unterstützen wir. Fachverbände und Praktikerinnen und Praktiker, die mit jungen Geflüchteten arbeiten, verweisen zurecht darauf, dass die Altersfrist von 21 Jahren – bis zur Erreichung dieses Alters müssen die jungen Leute den Antrag nach 25a Aufenthaltsgesetz gestellt haben – viel zu knapp ist und fordern die Heraufsetzung auf 27 Jahre. Das macht Sinn und würde mit dem Wirkungskreis des Kinder- und Jugendhilfegesetz korrespondieren. Die 27-er Altersgrenze wäre auch vor dem Hintergrund logisch, dass junge Menschen nach der Flucht oft ganz andere Probleme zu meistern haben – Stichwort Traumatisierung und grundsätzliche Neuorientierung, und dass Bildungswege zumeist eben nicht mit 18 oder 21 Jahren aufhören, sondern vor dem Hintergrund des Erlernens einer neuen Sprache, dem Nachholen von Schulabschluss und Berufsorientierung viel mehr Zeit ins Land geht, als dies beim Gros der hier geborenen jungen Menschen der Fall ist.
Wir sollten den jungen Menschen diese Zeit lassen und ihnen dann auch die Möglichkeit lassen hierzubleiben.
Wenn wir aber über eine notwendige Reform der §§ 25 a und b sprechen, dürfen wir damit aber nicht aufhören. Das Land Hamburg hat bereits 2012 mit einer eigenen Bundesratsinitiative gefordert, dass der Schulbesuch bei geduldeten Jugendlichen als Voraussetzung für ein Aufenthaltsrecht nicht zeitlich reglementiert wird.
In Bezug auf die zeitlichen Fristen erscheinen uns sowohl die von jungen Menschen geforderten 4 Jahre als auch die von erwachsenden geforderten 8 Jahre bzw 6 wenn ein minderjähriges Kind im Haushalt ist, zu lang. Diese Regelungen schaffen eben nicht das was nötig wäre: Die unterträglichen Kettenduldungen zu durchbrechen und damit das Leben auf permanentem Abruf, voller Einschränkungen der gesellschaftlichen Teilhabe zu unterbrechen. Auch die Frage der eigenständigen Lebensunterhaltsicherung, die eine Voraussetzung für eine Aufenthaltsgewährung nach § 25b darstellt, ist eine glasklare Hürde. Schließlich sind Geduldete eine der, wenn nicht die am schlechtesten gestellte Gruppe Geflüchteter: die Wege zu weiterführenden Sprachkursangeboten sind verwehrt, bei der Arbeitsaufnahme sieht es ähnlich aus: Wer will schon jemanden einstellen, der oder die jederzeit abgeschoben werden könnte? Es ist ein Teufelskreislauf: Weil Geduldete keinen sicheren Aufenthaltstitel haben, ist ihnen die wirtschaftliche Existenzsicherung deutlich erschwert, was wiederum ihre Integrationsfähigkeit vor den Behörden in Frage stellt und dann zum Ausschluss von einem Aufenthaltstitel führt. Dies trifft übrigens auch für Menschen aus den so genannten sicheren Herkunftsstaaten zu, die einem Arbeitsverbot unterliegen und von Integrationskursen ausgeschlossen sind, und die andererseits auch einen gewichtigen Teil der langjährig Geduldeten darstellen. Uns so lässt sich sehen, dass die Asylrechtsverschärfungen der letzten Monate die Bleiberechtsregelungen nach 25 a und 25 b für bestimmte Gruppen aushöhlen.
Nötig ist unterm Strich zusätzlich zur im vorliegenden Antrag geforderten Forcierung der Anwendung der Bleiberechtsregelung in Sachsen die grundlegende Prüfung der Wirksamkeit und der Ursachensuche für deren Scheitern in vielen Fällen. Wir brauchen durchlässigere Regelungen und niedrigere Schwellen um für Geduldete ein Bleiberechtsperspektive zu schaffen.
Der Antrag wurde nicht abgestimmt, sondern zur Weiterbehandlung in den Innenausschuss überwiesen.