
Wir besuchten heute Yana Salachova von Teatrzmin – dem Theater der Unterdrückten, einem lokalen Partner des deutschen Vereins Kurve Wustrow. Yana arbeitet bei der Internationalen Organisation für Migration (IOM) und ist im Bereich des Forumtheaters aktiv. Forumtheater ist eine Methode, die marginalisierte Menschen ermutigen soll, ihre Bedürfnisse zu formulieren. Zielgruppen sind Menschen mit Behinderungen, Kinder und Jugendliche, Roma, LGBTIQ-Personen und andere. Ziel ist es, in lokalen Kontexten Lösungen für Problemlagen zu finden. Besonders im Krieg ist dies eine große Herausforderung, aber auch ein wichtiges Mittel, um Dissens gewaltfrei aufzulösen oder abzumildern und nicht gehörten Stimmen Gehör zu verschaffen.
Yana berichtet von ihrer Arbeit in einer kleinen Gemeinde, wo für 2.000 Menschen jährlich nur 20.000 Hrywnja (ca. 420 Euro) für besondere soziale Bedarfe zur Verfügung stehen. Beim Forumtheater, bei dem dieses Thema angesprochen wird, ist auch eine lokal Verantwortliche anwesend. Anders als in anderen Kontexten ist es hier möglich, offen über das Defizit zu sprechen und es zu problematisieren. Am Ende wird sogar eine gute Lösung gefunden.
Yana erzählt auch von Interventionen im Prozess des Wiederaufbaus der Ukraine: Statt geschlossene Heime für Menschen mit Behinderungen zu bauen, werden die Stimmen für selbstbestimmte Wohnformen lauter und gestärkt. Nicht nur Effizienz, sondern auch die Bedürfnisse marginalisierter Gruppen sollen berücksichtigt werden. Sie spricht von Theaterstücken, die familiäre Konflikte und Beziehungsabbrüche aufgrund der (Weiter-)Nutzung der russischen Sprache thematisieren.
Wir sprechen auch über Rassismus und Queerfeindlichkeit. Yana beobachtet, dass Alltagsrassismus weit verbreitet ist, dieser jedoch selten in rassistische Gewalt umschlägt. Es gibt, wie in vielen Ländern, romafeindliche Stimmungen und Ausgrenzung, auch im militärischen Kontext. Queerfeindlichkeit hingegen ist ein wachsendes Problem. Kürzlich hatten rechte Gruppen gegen das in Kyiv stattfindende LGBTQIA+-Festival „Sunny Bunny“ mobilisiert. Diesmal reagierte die Polizei vorbildlich und schützte die Veranstaltung, was nicht immer der Fall war.
Wir statten dem Festival einen kurzen Besuch ab, es ist sein letzter Tag. Wir sehen viele junge, queere Menschen zwischen den Kinosälen hin- und hergehen und bemerken eine kleine Polizeipräsenz.
Am Abend haben wir die Gelegenheit, das neue Domizil der Rosa-Luxemburg-Stiftung zu besuchen, die kürzlich an einen zentralen Platz nahe dem Maidan umgezogen ist. Mit der von uns geschätzten Mitarbeiterin Nelia Vahovska sprechen wir über Perspektiven der ukrainischen Linken, das Oligarchentum in der Politik und faschistische Tendenzen in der Armee. Im Stadtbild fällt überall Werbung für die Armee auf, aber auch für spezifische Einheiten. Besonders negativ sticht die „3. Sturmbrigade“ hervor. Diese wurde 2022 aus ehemaligen Asow-Kämpfern gegründet und ist für ihre extrem rechten Bezüge und Protagonisten bekannt. Bei ihrer Promotiontour durch Europa im vergangenen Jahr gab es antifaschistische Proteste.
Ein Lichtblick ist, so Nelia, die linke Organisierung junger Menschen. Ein Beispiel dafür ist die basisdemokratische, syndikalistische Organisation „Direct Action“, die an Universitäten in der gesamten Ukraine aktiv ist. Sie kämpft für freie Bildung und gegen den neoliberalen Umbau des Bildungswesens. Ihre Strukturen, ihre Organisationsform und ihre Inhalte machen Mut und sind sogar dem Staat aufgefallen, der versucht, Aktivist*innen einzuschüchtern. Ein weiterer Lichtblick ist Med Rukh, die Bewegung der Krankenschwestern, die sich gegen die Zustände im Gesundheitssystem organisieren. Eine Vertreterin werden wir am Samstag, an unserem letzten Tag, treffen.