Das linXXnet-Kollektiv blickt zurück auf den „Tag X“:
Wir hatten auf einen anderen Verlauf des Demonstrationsgeschehens am 3. Juni gehofft, dem so genannten Tag X nach der Verkündung des Urteils gegen vier Antifaschist*innen in Dresden. Schon lange davor hatten Konservative und Sicherheitsbehörden Panik vor Gewalt und Chaos geschürt. Und sicher kursierten im Internet wenige entsprechende Aufrufe mit unklarem Absender.
Schlussendlich gab es aber eine angemeldete Demonstration und damit das Bekenntnis, Emotionen und Meinungen zum gefällten harten Urteil gegen Lina, Lennart, Jannis und Jonathan in einem demokratischen Rahmen auf die Straße zu bringen. Als linXXnet hatten wir vorher unsere Solidarität mit antifaschistischem Engagement gerade in Sachsen und Ostdeutschland, wo neonazistische Bedrohungen und Gewalt für viele seit Jahrzehnten alltäglich sind, ohne dass der Staat ausreichend dagegen agiert, ausgesprochen. Gleichsam hatten wir dazu aufgerufen, eine friedliche Demonstration zu veranstalten, an der viele teilnehmen können. Auch warnten wir in unserem offenen Brief vor Grundrechtseingriffen und Polizeigewalt.
Aber es kam zur selbsterfüllenden Prophezeiung. Die Versammlungsfreiheit wurde durch die Stadtverwaltung mittels einer Allgemeinverfügung auf Grundlage einer alarmistischen Gefahrenprognose von Polizei und Geheimdienst zu großen Teilen pauschal suspendiert. Die antifaschistische Demo samt zweier Kundgebungen wurde verboten. Die halbe Stadt wurde zum Kontrollbereich, der von einem massiven Polizeiaufgebot belagert wurde. Aus unserer Sicht hat es dann am Samstag selbst zur Eskalation beigetragen, der einzigen noch genehmigte Demo für Versammlungsfreiheit trotz anderer Absprachen im Vorfeld das Laufen zu untersagen. Dieses Risiko haben wir vor Ort in den Verhandlungen mit der Polizeiführung klar artikuliert. Die Eskalation folgte auf den Fuß. Polizeibeamt*innen wurden von einem kleinen Teil der über 3000 Menschen angegriffen und daraufhin relativ willkürlich an die 1000 Menschen über 11 Stunden bis zum frühen Morgen in einem engen Polizeikessel festgesetzt, darunter auch Minderjährige. Betroffene berichten über fehlende Möglichkeiten aufs Klo zu gehen, über fehlende Verpflegung und mangelnden Kälteschutz in der Nacht. Unsere Landtagsfraktion hat zu dieser fragwürdigen Polizeimaßnahme eine Sondersitzung des Innenausschuss im Landtag beantragt. Viele Unterstützer*innen harrten lange vor Ort aus und sprachen den Eingekesselten Mut aus und wurden dabei immer wieder von der Polizei bedroht und auch brutal abgedrängt. Auch unser Büro-Kollektiv, viele Genoss*innen und unsere Abgeordneten Marco und Jule waren an diesem Wochenende viele Stunden unterwegs und unterstützen Antifaschist*innen in Zwangslagen.
Bei uns bleibt nach dem Wochenende vor allem der Eindruck, dass das Ausmaß der staatlichen Härte gegen linke Politik bedrückend ist. Und daran hat die Stadt Leipzig, die eigentlich als liberal und durchsetzungsstark gegen den harten Kurs des CDU-Innenministeriums gilt, kräftig mitgewirkt. Das betrifft auch das kurzfristige Verbot der Kundgebung von Leipzig nimmt Platz, Omas gegen rechts und Eltern gegen Polizeigewalt am Sonntag, 4. Juni.
Das Recht auf Versammlungsfreiheit ist ein hohes Gut, seine so weit reichende Aussetzung dient nicht der Deeskalation, wie schon der Verlauf des Samstags zeigte. Vor allem steht es der Stadt Leipzig, die sich so gern mit Bürger*innenrechten schmückt, nicht gut zu Gesicht, öffentliche Meinungskundgaben so umfassend und damit willkürlich zu unterbinden. Wer Kritik mit Verboten begegnet, gießt Wasser auf die Mühlen der Demokratieverächter*innen und beschädigt die Demokratie letztendlich selbst.
Letztendlich stellt sich die Frage, ob Leipzig jetzt kippt. Die Ereignisse des Wochenendes müssen intensiv diskutiert und aufgearbeitet werden. Die von massiver Repression betroffenen vor allem jungen Aktiven brauchen Unterstützung. Auch unser Stadtverband muss aktiver Teil dieses Prozesses sein.