Am Montag, 11. Mai 2020 protestierten Bewohnerinnen und Bewohner der Erstaufnahmeeinrichtung in Dölzig bei Leipzig. Sie kritisierten die Situation in der Einrichtung und forderten Transfers in die Kommunen.
Der spontane Protest geschah aus Anlass eines Besuches von Vertreter*innen der Landesdirektion, die den erwartungsvollen Menschen ein Gespräch versagten und lieber durch den Hinterausgang verschwanden.
Als wir vor Ort waren, war die Lage bereits entspannt. Wir hatten die Möglichkeit mit Bewohnern zu sprechen
„Wir sind hier nicht vor Corona geschützt. Wir leben mit vielen anderen in einem Zimmer. Wir werden wir Hühner im Käfig gehalten.“ so beklagten einige.
„Seit Monaten, ja über einem Jahr warten wir auf einen Transfer.“ hieß es. „Wir haben keine Rechte, wir sind unter ständiger Kontrolle.“
„Wir wollen in die Stadt, wir wollen eine Wohnung!“.
Die Kritik und die Forderungen der Menschen sind vollkommen legitim. Die sächsischen Verwaltungsgerichte hatten kürzlich in vier Fällen entschieden, dass in den sächsischen Erstaufnahmeeinrichtungen kein ausreichender Schutz vor Infektionen durch Corona gegeben ist. Auch das Verwaltungsgericht Münster erließ nun einen ähnlich lautenden Beschluss.
Die Geflüchteten in Dölzig artikulieren vollkommen nachvollziehbare Ängste und Forderungen. Dazu kommt, dass seit Mitte März 2020 keine Transfers in die Kommunen mehr gibt. Erst diese Woche wurde wieder damit begonnen (wenige) Menschen aus den Lagern auf die Kommunen zu verteilen.
Doch die Probleme sind nicht nur Corona-bedingt: In den Erstaufnahmeeinrichtungen sind die Menschen zum Nichtstun verdammt: Keine Bildung, keine Möglichkeiten der Interaktion mit der Aufnahmegesellschaft. Auch fehlendes Internet, die einfachste und wichtigste Art der Kommunikation und Orientierung, ist in den meisten Erstaufnahmeeinrichtungen nicht vorhanden. In Dölzig ist das Internet durch die vielen dort lebenden Menschen – zirka 400 – schlicht dauerhaft überlastet. Und für viele mag es banal klingen: Es ist ein gravierendes Problem nicht selbst Kochen und Essen selbst zubereiten zu können und auf monotone Massenversorgung angewiesen zu sein, wie es in den Erstaufnahmeeinrichtungen Standard ist.
Im Jahr 2019 haben CDU und SPD in Sachsen eine Wohnverpflichtung für Geflüchtete, die aus einem Land kommen, für das es in Deutschland eine Asylanerkennungswahrscheinlichkeit von unter 20 % gibt, eingeführt. Die Menschen aus diesen Herkunftsstaaten – und diese machen etwa 50 % der Bewohner*innen aller Erstaufnahmeeinrichtungen in Sachsen aus, werden nicht nach maximal 6 Monaten in die Kommunen verteilt, sondern müssen bis maximal 24 Monate oder aber bis zur Ausreise respektive Abschiebung in den Lagern bleiben. Dies führt – wie in Dölzig glasklar zu sehen ist – zu Spannungen und Unzufriedenheit. Bis zu zwei Jahren in dieser isolierten Umgebung, mit den zahlreichen Einschränkungen, ohne nennenswerte Privatsphäre und mit extrem reduzierten Selbstbestimmungsmöglichkeiten, Resignation, Rückzug oder aber Aggressionen sind vorprogrammiert.
Wir fordern gerade jetzt die Menschen aus den Erstaufnahmeeinrichtungen in die Kommunen zu verlegen. Wir fordern die Rücknahme der Wohnverpflichtung und die Reduzierung des Aufenthalts in den Erstaufnahmeeinrichtungen auf das absolute Minimum. Das gebietet der Respekt vor der Menschenwürde!