„Staatliches Gewaltmonopol – zivilisatorische Errungenschaft oder Risiko. Funktioniert eine Gesellschaft ohne Polizei?“ war das Thema einer Diskussionsveranstaltung am Freitag, 13.12.2019 im UT Connewitz. Das linXXnet hat diese Veranstaltung ausgerichtet, um ein in der Linken stark diskutiertes Thema auch öffentlich zu verhandeln. Ziel der Veranstaltung war es weiter zu denken als es die aktuellen Debatten oder Meinungsäußerungen tun. Auf der einen Seite finden sich so bspw. Forderungen nach Demokratisierung der Polizei mit Kennzeichnungspflicht oder Beschwerdestelle, die von politischen rechts der Mitte oder der Polizei zumeist konsequent zurückgewiesen werden. Auf der anderen Seite stehen platte Parolen a la „Bullen aus aus dem Viertel“. Beides kann Menschen, die für eine grundlegend andere Gesellschaft, die ohne Gewalt funktionieren soll, nicht zufrieden stellen.
Um die komplizierte Frage zu durchleuchten hatte sich das linXXnet den Verleger und Herausgeber der „Bibliothek des Widerstands“ Karl-Heinz Dellwo, den Politikwissenschaftler Florian Krahmer und die internationalistischen Aktivisten Sven und Wissam eingeladen.
Dass das Gewaltmonopol des Staates historisch betrachtet eine zivilisatorische Errungenschaft ist, die butale Selbstjustiz und demokratisch nicht legitimierte Machtausübung von Monarchen undoder Klerikalen ablöste, war unter den Diskutant*innen Konsens. Trotzdem ist die Staatswerdung untrennbar mit der gewaltvollen Durchsetzung der kapitalistischen Produktionsweise verbunden. Das Gewaltmonopol, das von der Polizei exekutiert wird, schützt vor allem das Privateigentum und versucht die Staatsordnung gegen Kritiker*innen und Aufstände zu schützen. Wer also eine von Zwängen befreite, nicht-kapitalistische Gesellschaft anstrebt, wird dem Gewaltmonopol gegenüberstehen.
Dass die unterstützenswerte Gewaltenteilung im bürgerlichen Staat nicht funktioniert, dass wir eine Verpolizeilichung gesellschaftlicher Probleme sondergleichen erleben und dass die Polizei autoritäre Charakter anzieht, die sich regelmäßig über gesetzlich normierte Kompetenzen hinwegsetzen, waren weitere Befunde der Diskutanten.
Während auf der einen Seite die Position für eine konsequente Demokratisierung der Polizei formuliert wurde, die dann auch in eine andere Gesellschaft überführt werden könne, überwog auf dem Podium das Plädoyer für eine andere Organisiation von Konfliktlösungsmechanismen, die das „Polizieren“ ablösen. Beispiele existieren vor allem im außereuropäischen Kontexten. So wurde das Beispiel Syrien angeführt, wo am Anfang der Revolution 2011 lokal Orte des staatlichen Gewaltmonopols zerstört und dessen Akteure vertrieben wurden. Stattdessen wurden basisdemokratische Formen geschaffen, die wiederum von islamistischen Kräften gewaltsam verdrängt wurden. Auch im Irak, in Nordsyrien (Rojava) oder Lateinamerika gibt es Versuche von alternativen Formen der Gesellschaftsorganisation. Eine externalisierte Instanz, die sich um eine Regelung von Konflikten kümmert, ist aber auch dort unabdingbar. Als Vorschlag wurde daran inspiriert die Zersplitterung des Gewaltmonopols und die Überführung dessen in kleinteilige, demokratisch verfasste Strukturen vorgeschlagen, zum Beispiel die Rückbindung von Ordnungskräften an Rätestrukturen. Klar ist, dass diese „Ordnungskräfte“ auch eine ordentliche Ausbildung, z.B. auch in Sachen Konfliktmanagement, haben müssen. An diesem Punkt ließe sich der Vorschlag der Demokratisierung der Polizei gut mit eine Überwindung der Polizei, wie wir sie aus dem bürgerlichen Staat kennen, verbinden. Tatsächlich greifbare alternative Organisationsmodelle werden in der Gegenwart vor allem aber in Situationen tiefgreifender gesellschaftlicher Umbrüche sichtbar. Menschen lernen in diesen Zeiten nicht selten anders miteinander zu interagieren und gehen solidarisch gemeinsam gegen staatliche Zwangsverhältnisse vor. Hier zeigt sich auch der fundamentale Unterschied zu marginalisierten linksradikalen Grüppchen, die auch hierzulande gern brachiale Polizeikritik vortragen, sich aber keinerlei Gedanken darüber machen, was passiert wenn die Polizei aus ihren Kiezen verschwunden ist. Eine Regelung von Konflikten durch „Kiezmilizen“, die auf Basis intransparenter, nicht mit den in den Kiezen lebenden Menschen ausgehandelter Regelkataloge ihre Weltsicht exekutieren, ist eher gefährlich als eine emanzipatorische Option! Ebenso besteht die Gefahr, das an die Stelle der Polizei mafiöse Strukturen oder reaktionäre Bürgerwehren treten.
Es muss also (weiter) darum gehen gegen die durch den Kapitalismus und seinen Staat verursachten Ungerechtigkeiten vorzugehen, solidarische Bündnisse zu schließen und Bruchsituationen zu erreichen, in denen eine Umwälzung der bestehenden Verhältnisse greifbarer wird. Vorbildhaft können Konfliktlösungsmechanismen, die bereits jetzt in kleinen Gemeinschaften praktiziert werden, sein. Und auch in Bruchsituationen können alternative Strukturen entstehen. Dass diese basisdemokratisch verfasst und rückgebunden sein müssen, und hier keine neue Avantgarde entstehen darf, versteht sich von selbst.
Der Mitschnitt zur Veranstaltung findet sich hier.
PS: Dass die CDU meine sehr kurze Zusammenfassung der Veranstaltung auf Twitter zu einem Angriff nutzt, ist klar, auf der anderen Seite aber eine Möglichkeit die zum Teil sehr theoretischen Überlegungen, die im Rahmen der Veranstaltung angestellt wurden, breiter zu kommunizieren. Wir verstehen unser Veranstaltung als Beitrag zur Demokratie und werden auch in Zukunft über die bestehenden Verhältnisse hinausdenken!