In der November-Sitzung des Sächsischen Landtages wurde der Bericht des Sächsischen Ausländerbeauftragten 2016 diskutiert. In meiner Rede blicke ich kritisch zurück aufs Berichtsjahr 2015 sowie die Tätigkeit des Sächsischen Ausländerbeauftragten.
Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrter Herr Mackenroth,
wir sprechen über den Bericht des Sächsischen Ausländerbeauftragten, den nach meiner Rechnung 23. seiner Art und den ersten, der komplett in die Amtszeit von Geert Mackenroth fällt.
Wir wollen uns zunächst bedanken für das umfangreiche Zahlenmaterial und den Rückblick auf ein sehr bewegtes Jahr 2015.
Gestatten Sie mir zuerst diesen Rückblick kurz nachzuvollziehen um dann auf den Bericht einzugehen.
Die Zahl geflüchteter Menschen erhöhte sich nicht erst im Sommer des vergangenen Jahres mit der Öffnung der Grenzen, sondern bereits vorher: bereits mit dem Jahresbeginn 2015 mussten die Aufnahmekapazitäten ausgebaut werden: am Ende des 1. Quartals gab es 11 Notunterkünfte, darunter 2 Turnhallen. Bis zum Jahresende 2015 stieg die Zahl weiter und wir erinnern uns gut: die Aufnahmebedingungen waren an manchem Ort – ob Zelt, Messe-, Leichtbauhalle oder umfunktioniertem Baumarkt menschenunwürdig.
Mit den zu uns flüchtenden Menschen brach sich auch ein Rassismus Bahn, der sich in Form von Aufmärschen gegen neu entstehende Asylunterkünfte und viel zu oft in gewaltvollen Angriffen ausdrückte. Mehr als hundert entsprechende Attacken waren im vergangenen Jahr zu zählen, darunter 18 Brandstiftungen, und wie auch der vorliegende Bericht ausweist, liegt Sachsen damit im bundesweiten Maßstab weit vorn.
Diese Ereignisse sind nicht zuerst ein Imageschaden für Sachsen, sondern Indikator dafür, wie brüchig die Demokratie gerade hierzulande ist und dass es eben keinen humanistischen Konsens gibt. Die rassistischen Ausbrüche in Clausnitz, Bautzen oder Heidenau gerade erst wieder am vergangenen Wochenende zeigen, dass hier noch längst keine Ruhe oder gar Veränderungen in den Köpfen eingezogen sind. Sicher unbeabsichtigt illustriert diese Stimmung auch der Bericht des Ausländerbeauftragten auf Seite 39, wo unter der Überschrift „Sachsens Bevölkerung reagiert“ ein Foto eines Pegida Aufmarsches zu sehen ist.
Aber: wir wissen auch, dass es auch die anderen Töne, dass es ein überwältigendes ehrenamtliches mit den Schutzsuchenden solidarisches Engagement gab und weiter gibt. Es ist gut, dass der Bericht diesen humanitären und humanistischen Initiativen einen großen Platz einräumt. Doch es waren nicht nur die vorgestellten professionellen Träger wie DRK, Johanniter oder THW, sondern sehr sehr viele kleinere Initiativen von Menschen, die sich zum Teil sicher zum ersten Mal ehrenamtlich für Geflüchtete einsetzten. Und wir wissen auch, dass diese eine Katastrophe abwendeten und immer noch abwenden, die auch im offensichtlich gewordenen Versagen bei der Aufnahme von Geflüchteten begründet lag.
Inzwischen ist mit dem rapiden Absinken der Zahlen zu uns fliehender Menschen eine trügerische Ruhe eingekehrt ist – denn weder ist die Welt friedlicher und damit die Fluchtgründe weniger geworden, noch können wir ausblenden, das gerade in anderen europäischen Staaten wie Griechenland und Italien zehntausende Schutzsuchende festsitzen ohne dass vereinbarte Verteilungsmechanismen wirklich funktionieren.
Insgesamt wurden seit September 2015 lediglich gut 6100 Menschen EU-intern verteilt – das sind nicht mal 4 % der zugesagten 160.000 Plätze im EU-weiten Relocation-Programm. Auch Deutschland hat nur einen Bruchteil der zugesagten Plätze zur Verfügung gestellt – nämlich 216 von gut 27.300, also nichtmal ein Prozent! Und dass, wo die Infrastruktur nun – noch – vorhanden ist.
Doch stattdessen feilt die verantwortliche Politik daran, Geflüchtete weiter draussen zu halten oder rauszuschmeissen und mit diversen Asylrechtsverschärfungen ihnen das Leben schwer und unmissverständlich deutlich zu machen, dass sie hier nicht erwünscht sind.
Zum Beispiel wenn Geflüchtete von Integrationsangeboten qua „unsicherer Bleibeperspektive“ ausgeschlossen bleiben. Wenn ihnen die dringend benötigte medizinische Behandlung aufgrund ihres Status nicht genehmigt wird. Wenn ganze Familien durch Abschiebungen zerrissen werden . Genau diese Perspektive – die der betroffenen MigrantInnen – bleibt auch im Bericht des Ausländerbeauftragten unterbelichtet.
Und genau in dieser Hinsicht wird der Bericht seiner Aufgabe nicht gerecht. In § 3 des Gesetzes über den Sächsischen Ausländerbeauftragten ist klar formuliert: Der Ausländerbeauftragte erstattet dem Landtag einen jährlichen Bericht zur Situation der im Freistaat Sachsen lebenden Ausländer. Wie bereits im Innenausschuss mahnen wir an dieser Stelle, diese gesetzlich fixierte Aufgabe bei zukünftigen Berichten stärker zu beachten.
Dasselbe betrifft das Amtsverständnis des Sächsischen Ausländerbeauftragten, das gesetzlich als „zur Wahrung der Belange der im Freistaat Sachsen lebenden Ausländer“ fixiert ist.
Von einem Inländerbeauftragten ist dort nichts zu lesen.
Natürlich kann Integration nur mit der angestammten Bevölkerung funktionieren. Natürlich muss diese sich sich zu Menschenrechten bekennen und vor allem in Sachsen lernen Schutzsuchende ohne Rassismus und Argwohn zu empfangen.
Manchmal stellt sich in Anbetracht des Berichtes des Ausländerbeauftragten und auch öffentlicher Äußerungen der Eindruck dar, dass das Verständnis auf die Vorbehalte der so genannten Inländer einzugehen, mehr Platz einnimmt als die Belange der AusländerInnen zu wahren. Letzteres hieße nämlich, auf Ungerechtigkeiten und Teilhabedefizite hinzuweisen und Partei zu ergreifen, im Zweifelsfall auch, sich gegen Abschiebungen zu positionieren und nicht gebetsmühlenartig auf die schnelle und konsequente Ausreisepflicht hinzuweisen, wie es auch im Bericht passiert.
Schlussendlich: Wir blicken erwartungsvoll in die Zukunft. Sowohl auf den neuen, erweiterten HEIM-TÜV, auf den Prozess der Netzwerkbildung von MigrantInnen und auf weitere Instrumente, die Integration und Teilhabe Geflüchteter befördern – in Kooperation mit dem Integrationsministerium, das in dieser Hinsicht in den letzten zwei Jahren vieles auf den Weg gebracht hat.
Schließen will ich mit einem Zitat von Martin Gillo. Die Berichte seiner Amtsperiode enthielten die schon im Titel sehr eindrucksvolle Rubrik „Mit Herz gesehen“. 2013 schrieb er in einem der Beiträge: ZITAT „Indem wir andere Kulturen kennenlernen, lernen wir dann auch unsere eigene kennen, so wie der neugeborene Wal das Wasser erst beim Luftholen erkennt. Das ist wichtig, weil wir normalerweise nur die Schwächen der Anderen und unsere eigenen Stärken gut sehen. Die Kenntnis der Stärken der Anderen und unserer eigenen Schwächen müssen wir uns erst erarbeiten.“
Wir wünschen uns gerade in diesen Zeiten ab und zu mehr von diesen klugen Perspektiven auf eine sich durch Zuwanderung wandelnde Gesellschaft. Und nicht zuletzt wünschen wir uns mit Blick auf das Thema: mehr Herz.
Integration bedarf, neben einer sicheren Bleibeperspektive für gesamte Flüchtlingsfamilien auch die soziale Integration all ihrer Mitglieder. Hier stehen – meines Erachtens – eine menschwürdige Unterbringung, Arbeit und Bildung im Mittelpunkt. Dies bedeutet jedoch auch, dass, zumindest schrittweise Abgehen von überkommenen Verhaltensmustern seitens der Migranten (z.B. eine klaren Trennung von Religion und Staat, sowie die oft empörenden Verhaltensweisen gegenüber Frauen…). Das Entgegenwirken des Entstehens von parallelgesellschaftlichen Strukturen und Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Volks-, Religions- und Kulturgruppen muss Aufgabe von Politik und jedoch auch unserer Gesellschaft sein. Die fortwährenden Anfeindungen von Flüchtlingen durch die „Altbürger“ des Landes führen nicht zu einem Abbau des Mißverhältnisses zwischen den „Alt-„ und „Neubürgern“ des Landes. Gewalt und politisch sanktionierte Benachteiligung bestimmter Bevölkerungsgruppen sind grundsätzlich abzulehnen.