Meine Rede zum Antrag der AfD-Fraktion zur medizinischen Altersfeststellung bei unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten im Plenum des Sächsischen Landtags am 9.11.2016
Nichts neues von der rechten Seite, so ließe sich der vorliegende Antrag der AfD Fraktion kurz und schmerzlos ablehnen. Denn Motivation des uns vorgeschlagenen medizinischen Altersfeststellungsverfahrens für unbegleitete minderjährige Geflüchtete ist es Missbrauch zu unterstellen und auf Stammtischniveau den Steuerzahler als vermeintlich kompetenten Wächter des Wohls von Kindern und Jugendlichen in Anschlag zu bringen. Wenn das die Logik ist, aus der heraus wir Politik machen und Fürsorge auch für die schwächsten Mitglieder unserer Gesellschaft organisieren, dann gute Nacht.
Wo – sehr geehrte Damen und Herren der AfD – sind denn die Fakten für ihre Unterstellung, dass durch die jungen Geflüchteten massenhaft ein falsches Alter angegeben wird. Andersherum belegt eine Stichprobe aus Bayern, dass dort zu hunderten geflüchtete Jugendliche älter gemacht werden, mutmaßlich um keine Jugendhilfe-Maßnahmen zu gewähren. Nachzulesen im Ärzteblatt Nr 18 aus 2014.
Aus unserer Sicht ist es gut und richtig, dass in Deutschland die primäre Zuständigkeit für die Alterseinschätzung beim Jugendamt liegt und es nicht vornehmlich um die Einschätzung von etwa Knochenaltern oder Genitalien geht, sondern um die Berücksichtigung der individuellen Lebenssituation und der spezifischen Bedürfnisse der jungen Menschen. Diese Alterseinschätzung erfolgt folgerichtig durch sozialpädagogische Fachkräfte. Wichtig zu wissen ist außerdem, dass Alterseinschätzungen überhaupt nur im begründeten Zweifel zum Zuge kommen sollen. Dafür reichen allein die für eine Fluchtsituation typischen fehlenden Ausweispapiere nicht aus, wie es die AfD mit ihrem Antrag will. Doch diese Politik hat Methode: Ob die Abweisung oder gar Schüsse auf Menschen ohne Papiere an der Grenze oder Sonderlager für papierlose Geflüchtete – immer wieder geht es darum Menschen ihre Rechte abzusprechen, jetzt da die bundesweite Aufmerksamkeit auf Bautzen gelenkt war, sind also die Jugendlichen dran.
Doch zurück: Kritik an der medizinischen Altersfeststellung gibt es durchaus auch aus der medizinischen Ecke: Denn es sind ganz verschiedene Faktoren, die Einfluss sowohl auf die körperliche Entwicklung als auch auf die momentane physische Verfasstheit von Menschen ausüben, sprich soziale, kulturelle, wie auch bspw klimatische Einflüsse. Auch die beschwerliche Flucht an und für sich kann jungen Menschen buchstäblich graue Haare machen. Die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychatrie weist zudem darauf hin, dass die in der Medizin verwendeten Referenzen z.B. bei Knochenaltersbestimmungen entweder überaltert oder in Bezug auf Herkunftsländer lückenhaft sind. Im Deutschen Ärzteblatt heißt es ganz grundsätzlich: „Es handelt es sich um einen verbreiteten Irrglauben von Nichtmedizinern, Ärzte könnten das Alter exakt definieren. Möglich ist nur eine grobe Schätzung des chronologischen Alters.“
Wir lehnen medizinische Alterseinschätzungen prinzipiell ab und schließen uns damit verschiedenen Fachverbänden an. Was es stattdessen braucht ist ein einheitliches Verfahren der Alterseinschätzung ohne entwürdigende medizinische Untersuchung, ein Verfahren, das Kinderschutz-Prinzipien, der Herkunft und der spezifischen Fluchterfahrung der Betroffenen entspricht.
Doch lassen sie mich den Blick auf andere Aspekte des Themas werfen. Die Situation der jungen Geflüchteten, die nach SGB VIII in den Städten und Landkreisen betreut werden, ist keineswegs rosig. Oft fehlt es an kultursensibler Betreuung, an ÜbersetzerInnen, an kompetenten und engagierten Vormündern, an psychosozialen Angeboten und an Zukunftsperspektiven für die Zeit nach der Volljährigkeit. Ohne Eltern und in einer fremden, oft feindlichen Umgebung kommt diesen jungen Menschen eben keine persönliche weiterführende Unterstützung zu, wie es für hier geborene oft der Fall ist.
Während wir tatsächlich und richtigerweise Geld in die Hand nehmen um für minderjährige Geflüchteten, die ohne ihre Eltern in Deutschland kommen, würdige und altersgerechte Lebensbedingungen zu schaffen, bricht dieses Hilfesystem mit 18 zumeist ab, werden durch Umverteilung soziale Kontakte und individuelle Unterstützungen und durch die Schliessung der Berufsschulen für ü 18-jährige Bildungswege gekappt. Bis heute gibt es keine Alternative für diese Fehlentscheidung des Kultusministeriums. Und wir wissen, dass Bildung und Zugang zum Erwerbsleben der Schlüssel für gelingende Teilhabe an dieser Gesellschaft ist.
Der Beschluss der Konferenz der Regierungschefinnen und -chefs in Rostock von Ende Oktober, das muss an dieser Stelle klar gesagt werden, ist vollkommen kontraproduktiv und will eine Zwei-Klassen-Jugendhilfe schaffen, quasi Billig-Jugendhilfe für Geflüchtete. Wir kritisieren das scharf. Mit uns als LINKE ist weder die Diskriminierung und Schlechterstellung von minderjährigen Geflüchteten a la CDU/ CSU zu machen noch eine Stigmatisierung und populistische Stimmungsmache a la AFD .
Der Antrag der AfD-Fraktion Drs 6/ 6904 wurde abgelehnt.