Die restriktive Bezahlkarte verhindert Teilhabe und Integration: Leipzig soll alles tun, um aus dem Modell auszusteigen

Seit Monaten erleben wir eine massiv zugespitzte Debatte um Migration und Asyl. Migration wird von Rechten und Konservativen als das zentrale Problem unserer Gesellschaft stilisiert. Damit jedoch wird von den zentralen Problemen unserer Zeit abgelenkt – und das auf dem Rücken von schutzsuchenden Menschen. Ein Instrument der Stimmungsmache und der Desintegration ist die Bezahlkarte für Geflüchtete.
Meine Rede zum Antrag der Linksfraktion „Keine diskriminierende Bezahlkarte für Geflüchtete in Leipzig“

In der Debatte um Bezahlkarten wird gern behauptet, dass Sozialleistungen Geflüchtete nach Deutschland ziehen würden, also Pullfaktoren wären. Der Blick auf die Leistungssätze nach Asylbewerberleistungsgesetz, um die es dabei geht, zeigt, dass das Unfug ist.

Es gibt keinerlei empirische Belege über die Wirkung der mickrigen Asylbewerberleistungen pro Monat als Pull-Faktor. Es ist ein reiner Mythos, der immer wieder durch die Manege getrieben wird. Es gibt vielmehr Pushfaktoren, und das sind Krieg, Gewalt und Not.

„Ich hab‘ das nicht durchgerechnet, als ich in Afrika ins Schlauchboot stieg“ so Ncham Edwin Kuh, der in einer Leipziger Gemeinschaftsunterkunft lebt, gegenüber der LVZ. Und seien wir doch mal realistisch: Das Geld, was die Menschen beim Warten auf die Asylentscheidung oder bis zum Zeitpunkt der erlaubten Arbeitsaufnahme bekommen, das reicht nicht für Rücksendungen ins Herkunftsland.

Eine Bezahlkarte, wie sie von Bund und Ländern im Moment konzipiert ist – also mit Einschränkung von Bargeldabhebung, dem Verbot von Auslandsüberweisungen oder gar räumlichen Beschränkungen der Benutzbarkeit – will vor allem Eines: Kontrollieren und kleinhalten. Das ist wirklich erbärmlich. In der Realität wird gesellschaftliche Teilhabe, wird Integration verhindert. Es ist vielfach nachgewiesen: Die Bezahlung in Sozialkaufhäusern, auf Flohmärkten oder einfach mal ein Eis fürs Kind – all das wird mit der Bezahlkarte unmöglich gemacht.

Das haben mittlerweile auch erste Gerichtsentscheidungen festgestellt. Das Sozialgericht Nürnberg stellte im Fall einer Geflüchteten aus Schwabach etwa fest, dass die Klägerin werde »ohne Zweifel« in der Möglichkeit eingeschränkt, die aus ihrer Sicht für ihr Existenzminimum nötigen Waren zu erwerben.

Nun stellt sich die Lage so dar, dass das Land Sachsen sich der Ausschreibung des Bundes für eine gemeinsame Auftragsvergabe für das Bezahlsystem angeschlossen hat und die Karte landesweit einführen will. Der Start ist für November geplant, es ist allerdings von Verzögerungen auszugehen.

Die Ampelparteien haben mittlerweile auch das Asylbewerberleistungsgesetz geändert und die Möglichkeit der Leistungsgewährung durch die Bezahlkarte gesetzlich verankert. Die große Frage ist: Kann die Stadt Leipzig aus der Einführung der Bezahlkarte im Land Sachsen aussteigen? Der Verwaltungsstandpunkt verneint das, die etwas fundierteren Stellungnahmen des Sozialamtes in den Ausschüssen weisen ebenfalls in die Richtung.

Darum bleibt uns als Stadtrat aus Sicht meiner Fraktion nur die Möglichkeit, dem Oberbürgermeister auf den Weg zu geben, in den Verhandlungen in Bund und Ländern für die Entscheidungsfreiheit der Kommunen zu werben und uns die Option freizuhalten, aus dem drangsalierenden – und übrigens auch Verwaltungsaufwand erzeugenden – Projekt auszusteigen. Der Blick ins Bundesgesetz legt nah, dass die Bezahlkarte eine von drei Varianten der Auszahlung von Sozialleistungen ist. Mit diesem recht weich formulierten Auftrag wollen wir den OBM beauftragen und damit auch ein Signal setzen. Geflüchtete Menschen sind keine Menschen zweiter Klasse und sind in Leipzig willkommen.

Der Antrag wurde angenommen.

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